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Engelstation

Engelstation

Titel: Engelstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Jon Williams
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gerade die Zukunft vorhersagen lassen, und einiges davon war eingetroffen. Seine Schnellkurskassette über Genetik informierte ihn, daß diese und jene Gene an diesen und jenen Stellen einer Minderheit von Spezialisten zufolge angeblich mit Vorahnung, Telekinese und übersinnlichen Fähigkeiten allgemein in Zusammenhang stünden. Bei der Montage der schönen Maria ging er mit einer Art Overkill zu Werke: Er stopfte sämtliche Gene, die etwas mit außersinnlicher Wahrnehmung zu tun hatten, an ihren jeweiligen Platz in der Helix, weil er die Absicht hatte, eine richtige Hexe zu produzieren.
    Zu der Zeit, als Marias Fähigkeiten allmählich zum Vorschein kamen, hatte Pasco das Interesse an übersinnlichen Phänomenen verloren. Wiederholte Besuche bei der Wahrsagerin auf Carters Rand hatten sich als enttäuschend erwiesen. Daß Maria bei elektronischen Spielen unglaublich erfolgreich war, betrachtete er schlicht als Folge ihrer schnellen Reflexe, und daß sie bei der Außenreparatur von Geräten verblüffend gute Arbeit leistete, schrieb er ihrem guten Gedächtnis zu. Erst als sie Singularitätsschüsse am Simulatur durchzuspielen begann und ein erheblicher Prozentsatz der Schwierigkeiten, die Pasco für sie einprogrammiert hatte, entweder gar nicht oder nur mit mysteriöser Verzögerung auftauchte, wurde ihm langsam klar, daß irgendwas im Gange war.
    Diesmal hielt sein Interesse ein paar Monate an. Das war aber auch schon das Höchste der Gefühle, denn inzwischen gelang es ihm dank seiner schrumpfenden Aufmerksamkeitsspanne generell nicht mehr, sein Interesse an irgend etwas länger wachzuhalten. Er ersann eine Reihe von Tests, um ihre Fähigkeit zu messen, dann eine Reihe von Übungen, um sie auszubauen und zuverlässiger zu machen. Als sein Interesse schwand, waren Maria und Ubu imstande, ihre Entwicklung auf der Grundlage seiner Ideen selbst in die Hand zu nehmen und die Zuverlässigkeit von Marias Fähigkeiten zu steigern.
    Zu dem Zeitpunkt, als Pasco Selbstmord beging, erhielt Marias Fähigkeit die Runaway bereits am Leben.

    Marco de Suarez hing – an seinen Tisch geschnallt – in der Schwerelosigkeit und trank Espresso aus einem Druckballon. Das hellrosa Licht der Mutanto-Bar glättete die Falten in seinem hageren Gesicht. Die komplexen Verflechtungen der Mutanto-Tänzer, die sich im Rhythmus der Striffband direkt hinter ihm von den Wänden abstießen, schien er gar nicht wahrzunehmen. Bei der Band handelte es sich um eine fünfköpfige Mutanto-Gruppe, deren ohrenbetäubende Attacke auf die Trommelfelle wie Roboterarmeen im Nahkampf klang. Marco war ein alter Mann, dessen Ellbogen sich wie Knoten in seinen dünnen, fleischlosen Armen wölbten. Seine weißen Haare waren kaum länger als einen Zentimeter, und seine Wangen waren von einem stacheligen Dreitagebart bedeckt. Er trug Ohrringe aus Platin, Sandalen und ein altes weißes Baumwolljackett mit dem Siegel der De Suarez Expressways Ltd. auf der Schulter, das bis zur Mitte der Oberschenkel herabhing. Er hatte einen engen Riemen mit einem silbernen Kruzifix um den Hals. Ubu konnte ihn nicht ausstehen.
    »Schiffsführer«, sagte er.
    Die unergründlichen Augen des alten Mannes richteten sich auf ihn. Marco hob seinen Ballon und spritzte sich Espresso hinter die Lippen. Er machte eine richtige Show daraus.
    »Schiffsführer«, sagte er schließlich. »Ubu Roy. Setz dich.«
    »Vielleicht können wir einander helfen«, sagte Ubu.
    »Das halte ich nicht für sehr wahrscheinlich.«
    Marco war ein Tyrann, das räumte sogar seine eigene Familie ein. De Suarez Expressways, seine Handelsgesellschaft, verkörperte sein spezielles Image, so wie die Runaway das von Pasco verkörperte. Die Suarez-Frauen durften nur männliche Kinder bekommen. Marco war der Ansicht, daß alles einfacher war, wenn jedes Schiff nur einen reinen Männerkader hatte, eine Familie, die nicht nur durch Genetik, sondern auch durch sexuelle Einstellungen geeint war. Alle Frauen auf Suarez-Schiffen kamen ursprünglich von außen.
    Ubu dachte, daß Marco wahrscheinlich genauso verrückt war wie Pasco, nur nicht so chaotisch.
    Trotzdem, es gab sonst niemanden, an den er sich wenden konnte. Ubu war den ganzen Tag auf der Suche nach Käufern für die Bergbauausrüstung im Laderaum der Runaway im Kranz von Engel unterwegs gewesen. »Geh zu Marco«, war alles, was er zu hören bekommen hatte. »Marco ist der einzige, der Bergbaulieferverträge hat, seit Long Reach eingegangen ist. Marco hat ’nen Deal mit

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