Engelstation
wurde eine Harmonielinie gespielt, die die vom Sizerspeicher ständig wiederholte Melodielinie ergänzen sollte, aber das Ergebnis war ein so chaotisches Durcheinander, daß Maria die Zähne zusammenbiß und den Wunsch verspürte, mit etwas zu werfen. Da war sie ja schon mit einem Paar Hände besser.
Der Shooter setzte sich auf den Barhocker neben ihr. Sie sah ihn an.
»Bist du ’n de Suarez?«
»Ja. Ich bin Christopher, von der Abrazo . Woher weißt ’n das?«
»Du siehst so aus. Ist ’ne Inzucht-Familie. Nennen sie dich Chris?«
»Meine Freunde nennen mich Kit.« Er runzelte die Stirn. »In der Familie sagen sie meistens ›Kleiner‹ zu mir.«
Maria nippte an ihrem Saft. »Gibt’s dafür einen Grund?« fragte sie. »Oder macht es ihnen einfach bloß Spaß, ein Familienmitglied zu beleidigen?«
Er wirkte ein bißchen erstaunt. »Ich hab noch keinen Schuß gemacht«, sagte er. »In meiner Familie gilt man erst als erwachsen, wenn man das getan hat.«
»Du liebes bißchen«, sagte Maria. »Ich reite die Gezeiten, seit ich sieben bin.«
»Du bist auch gemont.«
»Das hat nichts zu sagen. Im Schnellverfahren kannst du’s in ein paar Wochen lernen.« Sie sah ihn nachdenklich an. »Außer wenn du einfach nicht gut bist.«
»Bei den Simulationen bin ich gut genug. Meine Familie ist bloß …« Er hob die Schultern. »Bei uns geht’s nach den Generationen. Ich bin der Jüngste meiner Generation. Bis Marco stirbt, mach ich nichts Wichtiges. Dann rücken wir alle ‘ne Stufe auf.«
»Marco ist der große Daddy?«
Der Lickspieler stolperte mit allen vier Händen in die Melodielinie zurück. Maria wollte vor Erleichterung schreien. Ein paar Betrunkene im hinteren Teil des Raums begannen laut die Köpfe gegeneinander zu schlagen.
Kit nickte und nahm einen Schluck von seinem Lark. »Marco ist mein Großonkel. Schiffsführer der Abrazo , Kopf der Familie.« Er starrte sein verzerrtes Spiegelbild im Druckballon an. »Mein Vater ist Zweiter auf der Familia . Ich wünschte, ich wäre bei ihm. Aber Marco brauchte einen neuen Lehrling.«
»Marco hat wohl nicht vor, demnächst den Löffel abzugeben, was?«
»Der lebt ewig. Ich glaube, er hat ’nen Pakt mit dem lieben Gott.« Er ließ ein schüchternes Grinsen sehen. »Er ist ’n ernsthafter alter Katholik. Hat ’nen Schrein der Mutter Gottes in der Zentrifuge, gleich bei seinem Arbeitsraum. Da ist er häufig drin und handelt was mit den Engeln aus.« Kit nahm wieder einen Schluck von seinem Lark. Seine dunklen Augen hoben sich unsicher zu Marias Augen. »Ich habe das mit deinem Vater gehört. Tut mir leid.«
»War am besten so«, meinte sie. »Schätze ich.«
»Marco sagt, er war ein Genie, das nie irgendwas zu Ende bringen konnte.«
Kummer durchwehte sie auf Wogen von Blauem Himmel. »Das war er wohl, ja.« Kit trank sein Lark aus und bestellte mit einem Handzeichen ein neues.
Maria fiel etwas auf. »Wir sind uns noch nicht begegnet, oder?« fragte sie. »Woher wußtest du, wer ich bin?«
Kit musterte sie aufmerksam. »Marco will, daß wir uns mit den anderen Shootern befassen. Er hat Dateien und all sowas. Er sagt, er will, daß wir die Konkurrenz kennen.«
Maria fühlte, wie die Wogen des Kummers höher und steiler wurden. Früher, bevor die Konsolidierung eingesetzt hatte, waren die Shooter so etwas wie eine große, buntgewürfelte Familie gewesen. »Soweit ist es also schon, wie?« fragte sie.
Seine Augen spiegelten ihren Kummer wider. »Ja«, sagte er. »Sieht so aus.«
Pasco war bereits in den späten mittleren Jahren, als sich seine väterlichen Instinkte zu regen begannen – die ersten einer ganzen Reihe unterdrückter Triebe, die das taten. Als er beschloß, Vater zu werden, bastelte er seine Kinder aus lauter Einzelteilen zusammen, die er in einer Fundgrube für gentechnische Artikel erstanden hatte, und stattete beide mit Talenten und Fähigkeiten aus, an denen er zu diesem Zeitpunkt interessiert war. So verlieh er Ubu zusätzlich zu hoher Intelligenz eine Reihe von Eigenschaften, die er seiner Meinung nach selber nicht besaß. Da er langsam, dick und vergeßlicher war, als ihm lieb war, gab er Ubu schnelle Reflexe, einen harten Körper und jenes eidetische Gedächtnis, das mit geschärften Sinnen und Synästhesie einherging. Die zusätzlichen Arme kamen erst nachträglich dazu.
Als er den Entschluß faßte, seine Familie zu vergrößern, war Pasco noch ehrgeiziger. Er hatte sich von einer professionellen Wahrsagerin auf Carters Rand
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