Engelstation
beiden Finger?«
»Die tun weh. Das Handgelenk auch.«
Er röntgte die Hand und das Handgelenk mit dem tragbaren Apparat und ließ das Analyseprogramm durchlaufen. Ubu erfuhr, daß die Finger nur verstaucht waren, daß Maria sich jedoch einen Handgelenkknochen angeknackst hatte. Die Verletzung war nicht schlimm, aber sie konnte später die Beweglichkeit der Hand einschränken. Er spritzte ihr ein Hormon, das die Heilung von Brüchen fördern sollte.
Maxim miaute an der Tür, als Ubu Maria aus der Dusche führte und zwei Zerstäuber mit Medikamenten lud, einem Stoff, der das Immunsystem auf Trab brachte, sowie all dem, was er sich selbst verpaßt hatte. Das Ganze sprühte er ihr in die Nase. Dann nahm er den Erste Hilfe-Kasten in die eine Hand und führte Maria mit der anderen zu ihrer Koje. Blau Sieben begann träge durch seinen Geist zu wogen. Als die Droge ihre erste zaghafte Wirkung zeigte, desinfizierte Ubu mit behutsamen Bewegungen noch einmal Marias Schnittwunden und sprühte dann Neuhaut darüber. Marias Lider flatterten, und ihre Augen schlössen sich. Sie atmete leicht durch ihre zerschlagenen Lippen. »Es tut mir leid«, sagte Ubu und küßte sie auf die Schläfe, wo die weichen Haare aus der blassen, warmen Haut wuchsen, küßte sie auf den fließenden Grenzbereich zwischen Schwarz und Weiß.
Ubu hinterließ eine nasse Spur auf dem Boden, als er sich zu seiner neuen Schlafkabine schleppte – in der alten war noch alles voll vom Konfetti der zerfetzten Bilder –, und fiel auf seine Koje. Maxim sprang zu ihm hinauf und machte es sich zwischen seinen Knien gemütlich, wobei er ausgesprochen herausfordernd schnurrte. Sein Schwanz peitschte immer noch hin und her. Schläfrigkeit wärmte Ubus Körper.
»Ich bin heute richtig gut drauf!« erklärte Pasco lebhaft. Ubu machte sein Auge auf. Pasco stand nackt vor der Koje. Er grinste und kratzte sich. Die Aufnahme war mindestens acht oder neun Jahre alt; die Gestalt in dem Hologramm war glattrasiert.
»Weißt du, warum?« fragte Pasco. »Ich werd’s dir sagen.«
Halt die Klappe, Paps! dachte Ubu.
»Weil ich mir was ausgedacht habe, deshalb.« Pascos Lächeln war strahlend. »Wir können ein Vermögen machen!«
Ubu kam zu dem Schluß, daß es zu weh tun würde, sich aus der Koje zu beugen und den Holoprojektor abzuschalten. Er machte sein Auge zu und versuchte, nicht hinzuhören.
»Ich hab gerade ausgeknobelt, was die schöne Maria tun könnte! Sie ist wirklich eine Hexe!« Pasco lachte. »Wenn ich ihre Fähigkeiten erst mal voll ausgebildet habe …« Er schnippte mit den Fingern. »Das Geld wird uns einfach so in den Schoß fallen! Es kann gar nicht schiefgehen.«
»Oh, Jesus Ristes«, sagte Ubu.
»Wir müssen bloß die richtigen Anwendungsmöglichkeiten finden, das ist alles. Diese Konsolidierungsgeschichte hat mir schon langsam Sorgen gemacht, aber damit ist es jetzt vorbei. Wenn wir bloß noch ein paar Jahre durchhalten können, wird das Geld nur so hereinzuströmen beginnen!«
Pasco begann zu singen, eine muntere, gefühlvolle Ballade mit dem Titel »Heut werden meine Träume wahr«. Er konnte sich nicht mehr an den vollständigen Text erinnern und füllte die Lücken mit Nonsense-Wörtern. Ubu hoffte, er würde sich nicht am instrumentalen Break versuchen, aber er tat es und brachte eine schlechte Imitation einer Sizer-Gitarre.
Traurigkeit stieg in Ubus Brustkorb hoch wie eine aufwallende Blutlache. Er wünschte, er könnte den Kummer von sich abtrennen, indem er einfach einen Schalter drückte und nichts mehr fühlte, so wie er Pascos Hologramm abschalten konnte. Statt dessen hörte er dem unmelodischen Singsang zu und hoffte, Blauer Himmel würde alles in einen hirnlosen Kuscheltraum verwandeln, in eine harmlose Nichtigkeit wie der Text des Liedes, würde ihn vor dem Biß der Erinnerung bewahren, vor seiner Gewißheit, daß die Engelstation der Ort war, wo alle Träume starben.
4. KAPITEL
Die Elektronenmusik beruhigte Maria und linderte ihre Schmerzen. Die Strömung erfaßte sie nicht so heftig und bedrohlich, wie wenn Rot Neun in ihren Adern loderte, und auch nicht so abrupt; statt dessen schuf das ferne Summen im Hintergrund wunderschöne architektonische Gebilde, deren Muster sich durch das ganze Schiff zogen, ein unsichtbares elektronisches Skelett, eine herrliche Filigranarbeit, die sich in Marias Bewußtsein kontinuierlich verwandelte.
Sie stand leicht unter Drogen: Blau Drei, um die Schmerzen in Schach zu halten, was nicht so
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