Engelstation
stark war wie Blau Sieben. Da Kleider ihr weh taten, lag sie nackt in ihrer Koje oder auf der Couch im Mannschaftsraum. Maxim leistete ihr als einziger Gesellschaft, und sie war froh, daß die Stationsschwerkraft so dicht bei der Nabe praktisch gegen Null ging. Manchmal spielte sie Keyboards oder sah sich Holo-Illustreifen an, wobei sie sich mehr für die Elektronenmuster in ihrem Geist als für die Musik oder für die Leute in den Illustreifen und deren Gewalttätigkeiten interessierte.
Ubu bewegte sich weit entfernt und geschäftig durch das Muster von Marias Wahrnehmungen. Er humpelte mit gerissenen Beinmuskeln von einem Ort zum anderen. Sie spürte die Veränderungen, die er im Elektronenstrom bewirkte. Er rief im Computer Informationen auf und stellte Berechnungen an.
Ubu knobelte etwas aus. Er schmiedete schon wieder einen Plan.
In diesem Plan würde sie natürlich auch eine Rolle spielen. Maria wußte gut genug, wie sein Verstand arbeitete.
Sie schluckte eine weitere Blau Drei und konzentrierte sich auf das Elektronenmuster.
Sie wußte, daß Ubu, seinem Plan und ihren Schmerzen eine gewisse Unvermeidlichkeit anhaftete, die sie jedoch so lange wie möglich aus dem Muster heraushalten wollte.
»Ich möchte dich nicht schon wieder um etwas bitten«, sagte Ubu. »Aber ich sehe keinen anderen Weg.«
Die schöne Maria schwieg. Ihre Finger schlugen willkürliche Akkorde auf der Sizer-Tastatur an.
»Noch ein Tag«, sagte Ubu. »Dann ist Sense. Dann haben wir die OttoBanque am Hals.«
»Denk dir was anderes aus.« Worte, die über aufgeplatzte Lippen kamen. Maria hielt einen Akkord mit der linken Hand, während sie mit der anderen ihre Unterlippe abtupfte. Sie sah den Blutfleck teilnahmslos an. Der Akkord erfüllte den Raum und legte sich schwer auf das Schweigen.
»Ich wünschte, ich könnte! « rief Ubu. Der lange Akkord brannte rot in seinem Gehirn. Die Frustration schlug ihre Krallen in seinen Hals und drückte zu, und seine Wut erlosch. Er drehte sich um und hinkte zur Tür. Er wollte ihren nackten Körper nicht mehr anblicken, wollte nicht mehr sehen, was sein letzter Plan ihr angetan hatte. Marias Gesicht war eine aufgedunsene, verfärbte Maske, zu keinem Ausdruck fähig. Die Quetschungen und Prellungen waren jetzt größer; sie erblühten unter ihrer durchscheinenden Haut wie leuchtende, entstellende Blüten. Die Brandmale auf ihrem Rücken und ihren Brüsten waren die wütenden Bisse eines Tieres. Er konnte seine Schwester in dieser Haut nicht mehr sehen.
Er lehnte sich mit dem Rücken zu ihr an den Türrahmen des Salons. Die Akkorde ließen grelle Farben in seinem Geist aufleuchten, Farben wie geprügeltes Fleisch. »Ich möchte mein Leben nicht als Verlierer anfangen«, sagte er. »Jetzt haben wir zum erstenmal die Chance, es zu schaffen. Zum ersten und einzigen Mal. Wenn wir verlieren, wird unser Schicksal ab sofort von anderen bestimmt. Wir werden dabei nicht viel zu melden haben.«
Marias Stimme klang erschöpft. Selbst Maxims Schnurren war lauter. »Laß uns morgen drüber reden«, sagte sie.
Ubu ging hinaus. Die Fugen des alten Schiffes knackten, als er den Korridor entlangging. Sein Kopf quoll über von Fakten: Produktionsstatistiken. Auswirkungen der Konsolidierungspolitik. Konkursstatistiken. Aktuelle Preise für eingefangene Singularitäten. Preise für schwere Magneten auf der Angelica-Station. Die Fakten lagen im Kriegszustand mit Erinnerungen, Gerüchen und Geräuschen: der schluchzende Pasco, dem rote Pillen aus seinen Taschen quollen; Marco de Suarez, der ihn aus seinem Totenschädelgesicht heraus ansah, das Schimmern von Neurosaft an seiner Oberlippe; der scharfe Geruch von Kittens verbrannter Plastikhaut; das endlose, leise Schreien der schönen Maria, als der Elektrostab auf ihre Haut klatschte …
Die Ruhelosigkeit zerrte an ihm. Er mußte vom Schiff herunter. Selbst wenn er kein Geld zum Ausgeben hatte, selbst wenn die Leute über seine Schwellungen und blauen Flecken lachten. Er ging zu seiner Kabine, zog sich einen Kaftan über den Kopf, schnallte einen Gürtel um, dachte daran, sich zu rasieren, und entschied sich dann dagegen. Mit seinem geübten, hüpfenden Niedrig-ge-Gang machte er sich auf den Weg zur Luftschleuse. Er schleuste sich aus, ging durch den Dockschlauch und brachte die Schleuse auf der anderen Seite ebenfalls hinter sich.
Als die Luke aufsprang, strömten die Geräusche des Lebens und Treibens in der Nabe von Engel herein: Rufe, plärrende Hupen,
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