Engelstraum: Schatten der Ewigkeit: Roman (German Edition)
Schlüssel.«
Hätte er ihre Hände nicht festgehalten, sie hätte ihm eine verpasst. Und zwar keinen liebevoll sanften Lehrerinnenklaps, sondern den ordentlichen rechten Haken eines Vampirs, der gelernt hatte, unfair zu kämpfen. »Du hast mich benutzt. Wie genau hat Mike herausgefunden, wo wir uns versteckten?«
Sein Lächeln wurde ein wenig schwächer. »Denkst du, ich habe ihn zu euch geführt?«
Dieser Verdacht war ihr gekommen. »Hast du nicht?«
Nun hielt er sie fester. »Ich bin der, der Keenan geholfen hat, dich auf dem Friedhof zu finden.«
Ihr fiel auf, dass er ihre Frage nicht beantwortet hatte. Genau wie Keenan konnte auch Sam nie einfach nur Ja oder Nein sagen. »Engel können nicht lügen, was jedoch nicht bedeutet, dass sie immer die volle Wahrheit sagen müssen, habe ich recht?«
Er nickte. »Als ich dich zum ersten Mal sah, wusste ich gleich, dass du der Schlüssel bist, um Keenan zu brechen.«
Er verliert sich in dir. »Ich will überhaupt nicht, dass er gebrochen wird.«
»Ach nein? Willst du nicht ein bisschen Rache? Komm schon, wir sind hier allein. Keenan ist oben und hasst die Welt. Er erfährt nicht, was du sagst.«
»Lass mich los.«
Er tat es nicht. »Ich meine, wäre er bloß ein bisschen schneller gewesen, hätte den Vampir, der dich in jener Nacht angriff, ein bisschen eher berührt, würdest du heute noch dein hübsches Friede-Freude-Eierkuchen-Leben führen. Womöglich hättest du inzwischen sogar deinen Märchenprinzen gefunden und wärst dabei, ein Nest zu bauen.«
Ihre Fingernägel verlängerten sich.
»Aber er war nicht schnell genug. Seinetwegen hast du gelitten, dich verwandelt und alles verloren, was dir lieb und teuer war.«
Das hätte sie sowieso. Egal was Keenan getan hätte, für sie hätte es weder einen Märchenprinzen noch ein trautes Heim gegeben. »Ich will keine Rache.«
Er lachte. »Wie gut, dass Vampire lügen können, was?« Endlich gab er ihre Hände frei, stand allerdings immer noch zwischen ihr und der Tür. »Um seine Kräfte wiederzugewinnen, musste Keenan seinen Gefühlen freien Lauf lassen. Engel kennen keine Emotionen, wusstest du das?«
Sie antwortete nicht.
»Entsprechend fliegen sie ihnen um die Ohren, sobald sie gefallen sind. Die Gefühle sind es, was uns hier stärkt und zugleich schwächt.« Er neigte den Kopf zur Seite. »Damit Keenan Feuer heraufbeschwören und kontrollieren konnte, musste er Zorn empfinden. Und den bekam er, als dein Leben bedroht wurde.«
Und um töten zu können …
»Richtig«, sagte Sam. »Dazu musste er nur rasende Wut empfinden. Er musste töten wollen . Als Big Mike dich angriff, war das Einzige, was Keenan wollte, Töten.«
»Gut für dich«, entgegnete sie verärgert. »Du hast den Tiger aus dem Käfig gelassen.«
»Nein, ich habe einen Gefallenen freigelassen. Oder vielmehr: Du hast es.«
»Weil du uns verraten hast!« War das alles ein Spiel für ihn? Aber was kümmerte sie das noch? »Kein Wunder, dass Keenan mich nicht in der Nähe haben will. Wenn er mich anfasst, bringt er mich um.«
Eigentlich hätte sie diese Erkenntnis nicht freuen sollen. Sie sollte ihr entsetzliche Angst machen, sodass sie Sam zur Seite schubste und schleunigst aus dem Haus floh. Stattdessen dachte sie: Er will, dass ich gehe, damit er mir nicht wehtun kann.
Das war typisch für ihren Engel, besser gesagt: für ihren Gefallenen.
»Er würde dich nicht töten.«
Sie sah ihn fragend an. Sam klang vollends überzeugt.
»Hast du mir nicht zugehört?«, fragte er und seufzte. »Ich sagte, dass er tötet, weil er bei der Berührung töten will . Berührt er hingegen dich, würde ich meinen, dass es das Letzte ist, was ihm in den Sinn kommt.«
Ihre Zähne begannen zu brennen. »Ich muss gehen.«
»Um Blut zu bekommen?« Er lächelte. »Warum in die Wildnis ziehen? Du kannst hier zu Abend essen.«
»Keenan hat mir eher nicht angeboten …
»Ich biete es dir an.«
Nicole erschrak. »Du würdest mir vertrauen? Mir deiner Kehle anbieten und darauf zählen, dass ich mich mäßige?« Oh nein, Moment mal, das Spiel kannte sie. »Sterbe ich, sowie ich dich berühre?« Schließlich war er auch ein gefallener Engel. Andererseits wandelte er schon länger auf der menschlichen Ebene und dürfte seine Kräfte besser kontrollieren können – was nicht zwangsläufig beruhigend war.
Er lächelte. »Ich verspreche, dich nicht zu töten, wenn du mir versprichst, nicht zu hart zuzubeißen.«
Sie musterte ihn. »Flirtest du mit mir?«
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