Engelstraum: Schatten der Ewigkeit: Roman (German Edition)
er an seine Seite kam.
»Nein.«
»Willst du dir irgendeinen willkürlichen Sterblichen greifen und …«
»Nicht willkürlich.« Ganz und gar nicht willkürlich, auch wenn er längst gelernt hatte, dass nichts in dieser Welt zufällig geschah. Für alles gab es einen Plan.
Sam pfiff leise vor sich hin und hielt mit Keenan Schritt. »Bist du auf ein bisschen Rache aus?«
Keenan bedachte ihn mit einem strengen Blick. »Besorgt?«
Die schmalen Falten in Sams Augenwinkeln vertieften sich. »Manchmal sind die Kräfte, die wir wiederentdecken, zu viel für uns, und wir können nicht damit umgehen. Die Versuchung ist zu groß.«
»Die hatte ich schon.« Zu viel. Er bog um die Ecke, fing Nicoles Duft ein und stolperte ganz kurz.
Dann lief er schneller. Hier herrschte reger Betrieb auf der Straße. Alles war voller Betrunkener und Anderer, die sich unbemerkt unters Volk mischen konnten. Und Keenans Beute.
Pete. Der tätowierte Rotschopf war noch am Leben. Vorerst.
»Verzieh dich, Sam.«
Der andere Gefallene aber packte ihn beim Arm. »Nein.«
Besaß er neuerdings ein Gewissen?
»Der Kerl hat dir alles gesagt, was er weiß.« Eine steile Falte erschien zwischen Sams Brauen. »Warum willst du noch mal auf ihn los?«
»Weil er, wenn ich ihn nicht aufhalte, auf mich losgehen wird.«
»Wie bitte?«
Keenan stieß ihn weg. »Ich bin nicht der Einzige, der Rache will.« Manchmal war es leicht, die Beweggründe von Menschen zu verstehen. Vielleicht bekam er diese Gefühle doch noch in den Griff.
Dann aber wurde Pete schneller, und Keenan sah die Beute, auf die er es eigentlich abgesehen hatte. Pete war ein Möchtegern ohne Prinzipien.
Der stoppelhaarige Bo war die echte Bedrohung, und der steuerte gerade den Voodoo-Laden auf der rechten Ecke an. Es war höchst zweifelhaft, dass er dort hineinging, weil er Schutz suchte. Wahrscheinlicher war, dass er irgendeine Magie kaufen wollte, die bei einem Vampir wirkte.
Rache.
Keenan preschte los, und die Leute, die sich auf der Straße drängten, schienen ihm von sich aus Platz zu machen. Er achtete darauf, niemanden zu berühren, denn er wollte ja keine Unschuldigen töten. Ich will nicht töten. Ich will nicht töten. Nur für den Fall, dass Sam Blödsinn erzählte, betete er dieses Mantra in seinem Kopf herunter. Und er wollte nicht Pete töten. Bo allerdings war eine andere Sache.
Er kannte Bo schon von früher, hatte ihn an anderen Sterbeorten gesehen. Bo mochte es, seine Opfer zu verletzen, Menschen wie Vampire. Wenn irgendwer verdient hatte, von seinem Leid erlöst zu werden, dann war es Bo.
Keenan streckte die Hand aus, und Bo fuhr herum. Nun erkannte selbst der schwerfällige Biker die nahende Bedrohung.
Pete stieß einen sehr schrillen Schrei aus.
Aber dann blockierte jemand Keenans Beute. Jemand mit blasser Haut und pechschwarzem Haar. Die letzte Person, die er hier erwartet hatte.
Und Nicole versperrte ihm den Zugang zu seiner Beute.
»Ich weiß ja nicht, was du vorhast«, flüsterte sie, als er erstarrte, »aber Menschen anzugreifen, passt nicht zu dir.«
Doch, neuerdings schon.
»Weg von denen, Nicole!« Ihr war vielleicht nicht klar, wen sie beschützte. Sie hatte brennend am Boden gelegen und ihre Gesichter wohl nicht erkannt. »Sie sind es, die dich umbringen wollten.«
»Um die mache ich mir keine Sorgen«, erwiderte sie trotzig. »Ich sorge mich nur um dich.«
Seine Hand war immer noch erhoben, nur Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt.
Sam fluchte. Dann blies eine Böe gegen Keenan, und Sam verschwand. War ja klar.
Hinter Nicole bückte Bo sich, griff in seinen Stiefel und reckte seine Hand, einen Pflock umklammernd.
»Mach du dir lieber Sorgen, Schlampe!«, schrie Bo. »Ich gier schon lange drauf, dir die Lichter auszuknipsen!«
Nicole fuhr herum, als Bos Hand schon nach unten schwang. Er hatte einen idealen Stoßwinkel zu ihrem Herzen.
Tod.
Hier. Jetzt.
Keenan sprang nach vorn und stieß Nicole aus dem Weg. Dabei packte er Bos Hand mit dem Pflock und zerdrückte das Holz wie die Hand.
Bo schrie vor Schmerz auf, verstummte gleich wieder und brach zusammen.
Tot.
»Keenan?«
Er sah nach rechts. Dort rappelte Nicole sich vom Boden auf. Sie war immer noch zu blass und schwankte leicht, wahrscheinlich weil sie nichts getrunken hatte, ehe sie ihm nach war.
»Du hast mich angefasst«, sagte sie, und er fragte sich, ob sie ihm eine Falle gestellt hatte – mit sich selbst als Köder. »Du hast mich berührt!«
»Ich musste.« Andernfalls
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