Engelstraum: Schatten der Ewigkeit: Roman (German Edition)
wäre sie gestorben. Er hatte keine Wahl gehabt.
Sie sah ihn an. Ich habe sie nicht getötet. Sofort wollte er sie in die Arme nehmen.
Doch sie kam ihm zuvor. Um sie herum ging der Trubel weiter. Die Leute bemerkten den Toten nicht einmal; oder er kümmerte sie nicht.
»Du berührst mich, und ich sterbe nicht«, hauchte sie.
Schritte waren zu hören, die sich eilig entfernten. Keenan blickte rechtzeitig auf, um Pete weglaufen zu sehen. Ein kluger Mann.
Nicole umklammerte seine Arme. »Sam hat die Wahrheit gesagt.«
Ja, nur eben nicht die ganze.
»Entscheidend ist, was du willst«, sagte sie und betrachtete ihn forschend. »Und egal was Az sagt, du willst mich nicht töten.«
Er lehnte seine Stirn an ihre. »Nein.« Er würde töten, um sie zu beschützen. Das hatte er und würde es auch wieder tun. Aber sie töten?
Nein, das war nicht geplant. Jetzt nicht und nie. »Hättest du dich geirrt … Hätte Sam sich geirrt …«
»Den Engeln zufolge ist meine Zeit begrenzt«, sagte sie ruhig. »Außerdem fand ich, dass ich langsam mal irgendjemandem vertrauen sollte.«
Mit einem verwunderten Lachen zog Keenan sie von Bos Leiche weg. Schon bald würde den Passanten auffallen, dass er nicht bloß ein schlafender Betrunkener war. »Du willst jemandem vertrauen?« Er führte sie in eine schmale Gasse zwischen zwei Häusern, wo es deutlich ruhiger war. »Und da hast du dir gedacht, du fängst mit Sam an?«
»Nein.« Sie hielt seine Hände fest. »Ich will dir vertrauen.«
»Bist du dir sicher?«, fragte er.
»Du hättest dein altes Leben zurückbekommen können, hättest es schon eine ganze Weile wiederhaben können. Aber so wie ich das sehe, willst du etwas anderes lieber.«
Ja, sie. Er hatte nie versucht, sein Verlangen nach ihr zu verbergen, nicht einmal als er sie von sich wies.
»Du stellst dich den Kojoten nicht allein.« Sie legte beide Hände auf seine Brust. »Auch nicht Az. Von jetzt an sind wir ein Team, verstanden?«
Er wollte es, nein, sie. Sein Körper brannte, so sehr verlangte es ihn nach ihr. Am liebsten würde er sie gleich hier, zwischen den schmutzigen Mauern, nehmen, irgendwo, nur schnell, denn die Zeit spielte gegen sie. »Und wenn du stirbst?«
Ein zartes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. »Hast du es noch nicht mitbekommen? Ich bin nicht so furchtbar leicht zu töten.«
Er küsste sie, weil er nicht anders konnte. Doch es war kein wilder, gieriger Kuss, sondern eher ein Streicheln mit Lippen und Zunge.
Nicoles Stöhnen befeuerte seine Lust erst recht, aber er würde ihr nicht hier nachgeben. Nicht inmitten dieses Gestanks und nur Meter von der belebten Hauptstraße entfernt. Ihr nächstes Mal sollte richtig sein.
»Komm mit«, sagte er und zog sie mit sich. In Sams Wohnung könnte er sie ausziehen, sie schmecken und die Zeit genießen, die ihnen noch blieb.
Denn viel war es nicht mehr.
Aber ich werde sie nicht töten. Seine finstersten Ängste, der Grund, weshalb er sie weggeschickt hatte, bewahrheiteten sich nicht. Ihr brachte seine Berührung nur Wonne, nicht den Tod. Und er würde dafür sorgen, dass es nie anders würde.
Was allerdings die anderen betraf, die sie jagten, sollten sie erfahren, wie viel Schmerz er allein mit einer Berührung bringen konnte.
Az blickte hinab auf den toten Bobby »Bo« Reynolds. Reynolds war weder besonders nett noch bemerkenswert menschlich gewesen. Natürlich hatte er ein paar gute Momente gehabt, aber seine Verbitterung trieb ihn zu bösen Taten.
Jetzt war er einfach tot.
Seine Seele zu holen, war Az’ Auftrag gewesen, deshalb sah er Bos letzte Minuten mit an. Er hatte geahnt, dass Bo versuchen würde, kämpfend unterzugehen, und das tat er.
Az wandte sich von dem Toten ab, der nur noch eine leere Hülle war. Keenan war bereits mit seinem Vampir verschwunden, geflohen vom Ort seines Verbrechens, ohne noch einmal zurückzublicken. Keine Reue, keine Schuld. Das Töten fiel ihm leichter.
Keenan veränderte sich, passte sich an. War das eine Weiterentwicklung?
Auf jeden Fall wäre er bald nicht mehr aufzuhalten.
Az konnte Keenans Drohung nicht mehr lange ignorieren, denn das könnte sich als fataler Fehler erweisen.
Also flog er weg von der Menge. Seine Flügel schlugen weite Bogen in der Luft, als er sich zu jenen aufmachte, die ihm helfen würden. Die Kojoten hatten ihre Trauer beendet. Wenigstens trauerten sie um ihre Toten, während manche Andere sich nicht um diejenigen scherten, die gestorben waren.
Er landete in der Nähe der
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