Engelstrompeten: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition)
wieder aufgenommen und sah nicht auf.
»Zwanzig nach zwei.«
»Na, sehen Sie, ist doch die Zeit, wo man ein Tässchen vertragen kann. Wenn ich ins Haus gehe, sage ich Bescheid, dass Sie da sind. Nun setzen Sie sich schon und leisten mir ein bisschen Gesellschaft.«
Etwas von fehlender Zeit und dringenden Dienstgeschäften lag Pieplow auf der Zunge. Aber dann ging sein Blick durch den Garten mit dem ausladenden Apfelbaum und dem schläfrigen Kater, der nur ein halbgeöffnetes Auge auf den ungewohnten Besucher hatte, bevor er sich auf die Seite rollte, um sein getigertes Bauchfell in die Sonne zu halten.
Was soll’s, dachte er. Es gibt schlechtere Plätze, um ein unerfreuliches Gespräch auf die lange Bank zu schieben. Und mit Waltraud Pape war ganz sicher besser Kirschen essen als mit Manfred Graber. Auch wenn sie Haare auf den Zähnen hatte, wie es hieß.
Also setzte er sich.
»Worum geht’s denn, wenn man fragen darf?«
Behaarte Zähne und neugierig, dachte Pieplow, das lässt sich gewiss polizeilich nutzen.
»Och, dienstlich«, gab er knapp wie gelangweilt Auskunft. Seine Intuition sagte ihm, dass man alte Damen mit elsternschnellen braunen Augen und hellhörigen Ohren am besten ein wenig schmoren ließ. Das erhöhte Wissbegier und Mitteilungsbedürfnis gleichermaßen.
»Geht’s um Wanda?«
»Auch. Ja.« Pieplow beugte sich vor und stibitzte ein paar weiche, entsteinte Früchte. »Kirschmarmelade?«
»Auch, ja«, machte sie ihn nach und klang leicht pikiert.
Pieplow kaute und schwieg.
»Schreckliche Geschichte.« Mit einem Seufzer nahm Waltraud Pape den Gesprächsfaden wieder auf. »Und nun auch noch die Sache mit Fritz. Einfach furchtbar. Obwohl... na ja, komisch ist es schon, oder finden Sie nicht?«
»Was?« Pieplow war irritiert. Was, bitte schön, sollte an zwei Toten komisch sein?
»Merkwürdig, besser gesagt«, korrigierte sie sich. »Ja, merkwürdig ist es schon... so kurz hintereinander... als wenn er ihr gefolgt wäre.« In Waltraud Papes langsamem Kopfschütteln lag Verwunderung. »Nach all den Jahren...«, murmelte sie gerade so laut, dass Pieplow sie verstand, ohne zu wissen, worauf sie hinauswollte.
»Das hört sich ja an, als hätte er das früher schon mal getan. Ihr folgen.« Pieplow war interessierter, als er sich anmerken ließ.
»Ja, sicher doch, wussten Sie das nicht?«
»Vielleicht war das vor meiner Zeit?« Pieplow ließ offen, welche Zeit er meinte. Die auf Hiddensee oder die überhaupt auf dieser Welt.
Über den Rand ihrer Brille hinweg sah sich Waltraud Pape sorgfältig um. Nach links, wo der Kater nicht mehr unter dem Apfelbaum lag, und nach rechts zum Haus, in dem es noch immer so still war, als sei niemand da.
»Ende der Siebziger muss es gewesen sein, genauer weiß ich es auch nicht mehr.« Waltraud Pape rückte auf ihrer Bank ein wenig nach hinten und lehnte sich an. Wer bequem saß, hatte mehr vom Geschichtenerzählen.
Diese, so rechnete Pieplow nach, musste sich zugetragen haben, als er ABC-Schütze war.
Fritz Niemann war damals schon kein junger Hüpfer mehr. Wanda auch nicht, obwohl sie gut zehn Jahre jünger war als er und gut aussah. Sehr gut. Trotzdem gab es keinen Mann in ihrem Leben. Jedenfalls nicht, soweit man wusste. Denn von dem, was drüben in Bergen passierte, erfuhr man nicht viel. Höchstens, es lag jemand im Krankenhaus. Dann traf man Wanda natürlich öfter. Als Patient oder Besucher, je nachdem. Immer war sie freundlich, immer patent. Aber nie sah man sie mit einem Mann, den sie näher zu kennen schien.
»Sie wird ihre Gründe gehabt haben.« Waltraud Pape zog nachdenklich die Mundwinkel nach unten und zuckte mit den Schultern. »Was weiß ich. Ist ja auch nicht immer das reinste Honigschlecken, so eine Ehe.« Sie machte eine Pause, mit der sie Pieplow die Gelegenheit gab, sich zu dieser Erkenntnis zu äußern. Möglich, sagte ihr Elsternblick, dass ich dann erfahre, warum er in Hinsicht Ehe so wenig zu Potte kommt. Es hätte sie interessiert. Und ein paar andere Damen auch noch, die sich fragten, warum ein so gutaussehender Enddreißiger mit Pensionsanspruch nicht unter die Haube zu bringen war.
Pieplow verzichtete auf einen Kommentar. Stattdessen nahm er noch ein paar Kirschen.
»Aber dass sie sich ausgerechnet in Fiete Niemann verguckt – nee! Und wie, sag ich Ihnen! Man konnte nur den Kopf darüber schütteln.« Das tat sie jetzt, dreißig Jahre später, noch einmal so ausführlich, dass ihr faltiges Doppelkinn nachbebte.
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