EngelsZorn - Im Blutrausch
ihr wieder zugewandt. „Wer soll dich aus dem verdammten, letzten Jahrhundert befreien, Mutter, sag‘s mir, wer? Dann hole ich ihn sofort!“ , hatte er sie zornig angeschrien. „... und lass‘ mich endlich mit deiner Justine in Ruhe! Ich will sie nicht, hörst du! Ich steh‘ nicht auf dumme Weiber... begreif‘ das endlich! Wenn du mir Isabelle vergraulst, werde ich nie wieder ein Wort mit dir sprechen! Das verspreche ich dir!“ , hatte er ihr angedroht.
„Sébastian! Wie sprichst du denn mit mir! Ich bin schließlich deine Mutter! Hat sie dir etwa gesagt, du sollst mich mit Respektlosigkeit behandeln...“
„Mach‘ mich nicht noch wütender, Mutter! Isabelle hat mehr Kultur und Charakter als du in deinem Leben jemals auf die Waagschale gebracht hast!“ , war er ihr ins Wort gefallen. „Ich glaube, es ist besser ich gehe jetzt! Du verstehst nicht ein Wort von dem, was ich dir sage... du bist so borniert! Heute hast du mich das
letzte Mal blamiert. Lebewohl, Mutter!... Vater, wir sehen uns morgen. Bei mir! Gute Nacht.“ Sébastian hatte Anstalten gemacht, für immer zu gehen.
„Warte!“ Aus Angst, ihren Sohn zu verlieren, hatte Madame de Valence nachgegeben und ihm versprochen, ihn niemals wieder in eine derart missliche Lage zu bringen . „Ich versprech‘ dir, Sébastian, mich mit ihr so gut es geht zu arrangieren, wenn du das wirklich willst und dir so viel an dem...“ Sie hatte kurz inne gehalten. „... an ihr liegt. Dass du sie so sehr... magst... das war... das war mir wirklich nicht so bewusst. Dann werde ich mich eben mit ihr anfreunden, wenn du das wünschst... und sie nächsten Monat... irgendwann mal am Nachmittag zum Tee einladen...“
„Nein! Nicht irgendwann mal... und auch nicht nächsten Monat! Beweis‘ mir, dass es dir Ernst ist und entschuldige dich bei ihr!... und zwar noch heute!“
„Aber...“
„Nicht s aber ! Entweder du entschuldigst dich bei ihr, oder ich gehe für immer! Du kannst es dir ja aussuchen!“ Sébastian hatte seiner Mutter das Telefon entgegengehalten.
Schweren Herzens hatte Madame de Valence in diesen sauren Apfel gebissen und an jenem Abend Isabelle angerufen, um sie zu bitten, nach Versailles zu kommen, damit sie sich persönlich bei ihr für ihr heutiges Benehmen entschuldigen konnte.
Sébastian war beschwichtigt gewesen, der Vater zufrieden, gesehen zu haben, wie ein Unheil vorübergezogen war, und die Mutter hatte insgeheim gehofft, ihr Sohn werde sich bald von diesem gewöhnlichen Weibe trennen, deren Eltern es nicht viel weiter gebracht hatten, als bis zu gewöhnlichen Fabrikarbeitern. Dass sich Isabelle durch hart verdientes Geld mit diversen Jobs ihr Studium an der Université Paris 1, Panthéon, Sorbonne selbst finanziert und zudem bei der Renard S.A.R.L. eine Partnerschaft in Aussicht gestellt bekommen hatte, war für Madame de Valence nicht von Interesse gewesen. Dem maß sie keinerlei Bedeutung bei. Für sie hatte rein immer nur die Abstammung gezählt und sie hatte nur zu gern das Sprichwort zitiert, der Apfel fiele nicht weit vom Stamm. „Si e is t un d bleib t ein Kind von gewöhnlichen Fabrikarbeitern, Sébastian!“ , hatte sie erbost zu ihrem Sohn gesagt, als er sie an diesem Abend das erste Mal angeschrien hatte.
„An was denkst du gerade, Schatz?“ Sébastian sah Isabelle fragend an. „Komm‘, steck‘ ihn endlich an! Probier‘, ob er passt!“, sagte er, nachdem sie die offene Ringschatulle immer noch fest umschlossen in ihrer Hand hielt und den Ring in der Schachtel betrachtete.
Isabelle nahm daraufhin den Brillantring heraus und steckte ihn an ihren rechten Ringfinger. Er saß perfekt.
Sie fiel ihm gleich auf, als sie das am Boulevard Saint Germain gelegene Café de Flore betrat. ‚... wow, was kommt denn da hereingeschneit?...‘ , dachte er, als er beobachtete, wie sie auf ihren Tisch zuging und sich mit den Händen über den Rock strich, bevor sie sich gesetzt hatte. Er schätzte sie auf Mitte zwanzig.
Sie saß ganz allein am Tisch.
Er hatte sie im Café de Flore noch nie zuvor gesehen, war aber regelmäßig dort, um Louis Louvin, einen alten Studienfreund, zu besuchen, der nach dem Tod seines Vaters vor zwei Jahren das Café übernommen hatte, in dem sich das mit roten Sitzen, Mahagoni und Spiegeln klassische Art-deco-Interieur seit dem letzten
Jahrhundert kaum verändert hatte. Seither war Louis jeden Tag dort am Tresen anzutreffen.
Sébastian wusste selber nicht so
Weitere Kostenlose Bücher