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Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition)

Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition)

Titel: Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Mitford
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verbissenen Energie ausgestattet. In Wirklichkeit war der Umgangston in der Familie weitgehend ein Kommentar über ihn und seine Manierismen, über jene Förmlichkeit, die bereits so altmodisch geworden war, dass sie wie gespielt erschien. Als Persönlichkeit war er sicherlich beschränkt, ja spießbürgerlich. Er habe Wolfsblut von Jack London gelesen, so erzählte er gerne, und es habe ihm so gefallen, dass es ihm sinnlos erschiene, noch ein weiteres Buch zu lesen. Ein und dasselbe Lieblingsstück von Giacomo Puccini wurde immer wieder auf dem Grammofon gespielt. Ganz im Gegensatz zu seinem weltoffenen Vater hatte er eingefleischte Vorurteile gegen Ausländer, vor allem die Buren und die Deutschen, gegen die er mit großer Tapferkeit in Südafrika und im Ersten Weltkrieg gekämpft hatte. Katholiken, Juden, Schwarze, die romanischen Völker – für ihn Nigger und Dagos (Welsche) – brachten ihn zur Raserei. Mit der Bezeichnung »Gulli« bedachte er gerne die Leute, die er nicht besonders schätzte, und manchmal sagte er ihnen das direkt ins Gesicht; oder es hieß: »Der stinkt zur Hölle!« Doch er wirkte dabei eher unterhaltsam als wirklich beunruhigend; wie mancher andere Autokrat ließ er sich leicht provozieren und gab dann eine ziemlich komische Figur ab.
    Auf ihre Art war auch Lady Redesdale gut aussehend, doch es charakterisierte sie eine verwirrende Gelassenheit. Ihr Vater war ein exzentrischer High Tory gewesen, ein Mitglied des Parlaments mit einem absoluten Glauben an die britische Marine; ihre Mutter war jung gestorben, und sie selbst hat anscheinend, was die Liebe und ihre Möglichkeiten angeht, die Ansichten eines Waisenkindes gehabt. Verdrängung und Verschrobenheit liefen bei ihr zusammen: Geistige Gesundheit ließ sich durch einen guten Körper erreichen, eine Eingebung, die ihr allein zuteil geworden war und die von der richtigen Ernährung abhing – selbst gebackenes Brot aus Weizen, den sie selbst gemahlen hatte, weder Schweinefleisch noch Schellfisch und vor allem keine pasteurisierte Milch. Impfungen waren verboten. Je größer ihre Familie wurde, desto weniger meinte sie sich um sie kümmern zu müssen; sie wiederholte nur ihren hilflosen Refrain: »Was für alberne Kinder ihr doch seid!«
    Wenn etwas dem Ideal der Redesdales nahekam, so war es wohl: in Ruhe gelassen zu werden. Im Bewusstsein solcher Leute ging das Land mit Sicherheit vor die Hunde. Lord Redesdale sprach das gelegentlich auch aus, etwa in einer seltsamen Rede vor dem Oberhaus, wo er es fertigbrachte, das Erblichkeitsprinzip mit dem Christentum zu vermengen. Zorniger Pessimismus veranlasste ihn, sein riesiges ererbtes neugotisches Herrenhaus zu verkaufen, in etwas Bewohnbareres zu ziehen und sich dann schließlich 1925 für sein Anwesen in Swinbrook selbst ein Haus zu entwerfen.
    Und eine große Sache ist auch das geworden, errichtet im örtlichen Graustein, was gut zu den alten Cottages und der mittelalterlichen Kirche passt in dem Ort, dessen Squire er war. Swinbrook liegt in den Cotswolds, jener sanft bewegten Landschaft mit Tälern und Höhen zwischen Oxford und William Shakespeares Stratford-upon-Avon – hier ist England so, wie es sich in seinem historischen Bild darstellt, wo Generationen mit der gleichen Regelmäßigkeit aufeinander folgen wie die Jahreszeiten. Hier wollte Lord Redesdale reiten und jagen und seine Kinder so großziehen, wie er selbst erzogen worden war: standesgemäß. Doch trotz der achtzehn Schlafzimmer war Swinbrook für die Kinder eine Kaserne. Eine Festung nennt Jessica das Haus. Diana schreibt über ihren Vater und sein Bauwerk: »Ich glaube, er merkte, dass wir unser neues Haus wahrlich hassten; wir gaben uns auch keine Mühe, das zu verbergen.« Keines ihrer Missgeschicke hätte sich ereignet, klagte Lady Redesdale später, wenn sie nicht nach Swinbrook gezogen wären. In Wahrheit wünschte sie sich, die Zeiten hätten sich überhaupt niemals geändert.
    Lord Redesdale tat viel, um seine Zukunftsängste Wirklichkeit werden zu lassen, denn er hatte die Angewohnheit, die Taube in der Hand fliegen zu lassen und dem Spatz auf dem Dach nachzujagen. Er hätte nicht auf seine finanziellen Eingebungen setzen dürfen. Ein selbst ernannter Marquis aus Chile überredete ihn zum Beispiel, in eine neue Art von Grammofon zu investieren, eine Katastrophe, die mit einem Prozess endete, als Lord Redesdale den Titel seines Partners anzweifelte. Er erwarb auch eine halb verlassene Goldmine in Kanada, die

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