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Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition)

Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition)

Titel: Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Mitford
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komischerweise Hakenkreuz-Mine hieß, und verschwand dort im Sommer zum Schürfen, während seine Frau in einer Blockhütte kochte. Es war eher ein anstrengender Urlaub als eine Methode, ein Vermögen zurückzugewinnen. Obwohl Lord Redesdale immer wieder brummelte, dass er noch im Armenhaus enden werde, war er viel zu sehr Amateur und Gentleman, um für irgendein Gegenmittel zu sorgen. Nach dem Umzug nach Swinbrook kaufte er zur Beschwichtigung in London ein riesiges Haus, komplett mit Ballsaal, im modisch-vornehmen Kensington (genau gesagt, Rutland Gate 26: heute eins einer ganzen Reihe von herrschaftlichen Häusern, die einem arabischen Multimillionär gehören). Für jene, die in der Ökonomie den Schlüssel zu allen menschlichen Verhältnissen sehen, waren die Redesdales vollkommene Vertreter einer Klasse, die auf der falschen Seite der historischen Dialektik abrutschte.
    Kindermädchen, Köchinnen, Hausmädchen, Diener, Aufseher, Erzieherinnen – die Kinder wuchsen umstellt auf. Nur Tom wurde der für Jungen traditionelle Weg hinaus zugestanden, zuerst nach Eton ins Internat, dann als Student nach Oxford (bei seiner Ankunft wurde er von seinem Tutor nach seinem Studienwunsch gefragt, worauf er antwortete: »Ausschweifungen«). Äußerst gut aussehend, leistete er ein Übersoll in der Verführung von Männern und Frauen. Er spielte gut Klavier und entschied sich am Ende für den Beruf des Rechtsanwalts. Die Schwestern blieben zu Hause eingesperrt, sie hockten beisammen wie in einem Harem und lieferten sich Stoff für ihre Fantasien, besonders über die reichen und prächtigen Liebhaber, die sie eines Tages in die Freiheit entführen würden. Irgendwie überwachte Lady Redesdale den Unterricht oben im Klassenzimmer, während die Erzieherinnen kamen und gingen: Es waren, laut Jessica, insgesamt dreizehn, die von ihnen gequält und verrückt gemacht worden seien. Monotonie, Frustration, Fluchtträume, Sehnsüchte nach Traumprinzen.
    Die Kindheitsriten begannen aufs Leben selbst durchzuschlagen. Die Eltern, Muv und Farve für die Kinder, wurden als »The Poor Old Female« und »The Poor Old Male« bezeichnet, kurz als TPOF und TPOM, sogar als »The Old Sub-Human«. So warf Unity einmal Farve einen besonders bösen Blick zu, bis er schrie: »Hör auf, mich anzusehen, verdammt noch mal!« Im Kinderzimmer hieß es dann: »Armer Farve, er ist wie ein Löwe, er kann dem Blick des Menschenauges einfach nicht standhalten.« Pamela wollte gern ein Pferd sein, und das übte sie stundenlang, wobei sie realistisch stampfend umherlief, den Kopf zurückwarf und wieherte. Bei einem anderen Spiel ahmten sie eine Henne nach, die gerade ein Ei legte. Der imaginäre Mr. Right war ja ganz schön, aber Debo stellte ihn sich lieber als Herzog vor, als Duke of Right. Sie dachten sich Reime und Verse aus. »Langsam im Lift zu Tode gequetscht«, lautete eine Zeitungsschlagzeile mit dem Untertitel: »Langer Todeskampf eines Mannes im Liftschacht«. Jeder Tochter, die beim Aufsagen dieser Zeilen erwischt wurde, sperrte Farve, durch die Wiederholung über alle Maßen gereizt, das Taschengeld. Dann war da noch die Geschichte von dem Medizinstudenten, der angeblich seiner Freundin einen erfrorenen Arm ins Schlafzimmer gehängt hatte; sie hatte ihn gefasst und darüber den Verstand verloren; man fand sie im Bett, wie sie an dem Arm knabberte. »Was für alberne Kinder ihr doch seid!« Als Unity einmal auf dem Dach stand und mit Selbstmord drohte, bemerkte Muv: »Oje, hoffentlich tut sie sich nicht weh.« Die Hons lebten auf bei solchem Schabernack. Während des Generalstreiks von 1926 verkleidete sich Nancy als Landstreicher und jagte allen einen Schrecken ein. (Ein oder zwei Jahre später sollten die »Bright Young Things« dieses Verhalten noch weitertreiben; sie verkleideten sich als Arbeiter, taten so, als wollten sie Piccadilly aufreißen, und brachten damit den Verkehr in der Stadt zum Stillstand.)
    Ferien und Feiertage verbrachte man zusammen mit Vettern und Cousinen, von denen die Churchills den größten Reiz ausübten. Faroe war ein Vetter ersten Grades von Clementine Hozier, die 1908 Winston Churchill geheiratet hatte. Zwischen den Kriegen war Churchill Schatzkanzler in der Regierung Baldwin gewesen, aber 1930 schien seine politische Zukunft äußerst ungewiss. Manchen war er zu reaktionär, anderen zu progressiv, und zu den Letzteren gehörten auch die Redesdales. Für sie war er unzuverlässig und ein Blender; und als er dann auch

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