Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition)
hast. Und vergiss nicht, was ich dir gesagt habe – der Hund von dir wandert schnurstracks in den Zwinger, wenn wir zurück sind, und da bleibt er!«
Lindas Gesicht knitterte, Tränen quollen hervor, sie versetzte ihr Pony in leichten Galopp und ritt dem Haus zu. Anscheinend hatte sich Labby, ihr Hund, nach dem Frühstück in Onkel Matthews Geschäftszimmer vergessen. Onkel Matthew konnte Schmutz bei Hunden nicht ausstehen, er hatte getobt, und in seiner Wut hatte er das Gebot erlassen, dass Labby nie wieder einen Fuß ins Haus setzen dürfe. Dergleichen trug sich mit den verschiedenen Tieren aus diesem oder jenem Grund immer wieder zu, aber da Onkel Matthews Gebell kräftiger war als sein Biss, währte die Verbannung selten länger als ein oder zwei Tage, danach begann dann »das dünne Ende des Keils«, wie er es nannte.
»Kann ich ihn kurz hereinlassen – will mir nur die Handschuhe holen?«
»Ich bin so müde – ich kann jetzt nicht zu den Ställen –, lass ihn doch bis nach dem Tee hierbleiben, ja?«
»Aha, ich verstehe – das dünne Ende des Keils. Also gut, diesmal kann er bleiben, aber wenn er noch einmal Dreck macht – oder wenn ich ihn noch einmal auf deinem Bett erwische – oder wenn er noch einmal die guten Möbel anknabbert (je nachdem, welches Verbrechen der Grund für die Verbannung gewesen war), dann wird er eingeschläfert, und sag nachher nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.«
Trotzdem, jedes Mal, wenn ein solches Verbannungsurteil gefällt worden war, malte sich die Besitzerin des Verurteilten aus, wie ihr geliebtes Wesen in der Einzelhaft, im kalten, finsteren Zwinger, fortan ein Leben der Trübsal fristen müsse.
»Auch wenn ich ihn jeden Tag drei Stunden ausführe und außerdem eine Stunde hingehe und mich mit ihm unterhalte, bleiben immer noch zwanzig Stunden, in denen er ganz allein ist und nichts zu tun hat. Wenn Hunde wenigstens lesen könnten!«
Wie man sieht, hegten die Radlett-Kinder sehr anthropomorphe Ansichten über ihre Lieblingstiere.
Heute jedoch war Onkel Matthew in ganz wunderbar guter Laune, und als wir aus dem Stall kamen, sagte er zu Linda, die bei Labby im Zwinger saß und weinte: »Willst du dieses arme Biest denn den ganzen Tag dort lassen?«
Im Nu hatte Linda ihre Tränen vergessen, als hätte sie nie geweint, und stürmte ins Haus, Labby hinterdrein. Immer waren die Radletts entweder auf dem Gipfel der Glückseligkeit, oder sie versanken in den schwarzen Fluten der Verzweiflung; nie bewegten sich ihre Gefühle auf einer mittleren Ebene, sie liebten oder sie hassten, sie lachten oder sie weinten, sie lebten in einer Welt der Superlative. Ihr Leben mit Onkel Matthew war wie ein immerwährendes Tom-Tiddler-Spiel, jenes Fangspiel, bei dem der Fänger sein abgegrenztes Gebiet scharf bewacht und die anderen versuchen müssen, einzudringen. Die Radlett-Kinder gingen so weit, wie sie sich getrauten, und manchmal kamen sie wirklich sehr weit, aber manchmal, ohne ersichtlichen Grund, fiel Onkel Matthew schon über sie her, wenn sie die Grenze kaum überschritten hatten. Wären sie Kinder armer Leute gewesen, dann hätte man sie wahrscheinlich von ihrem wütenden, brüllenden, prügelnden Papa weggebracht und in ein Heim geholt, oder man hätte ihn selbst weggebracht und ins Gefängnis gesteckt, weil er sich weigerte, seine Kinder zu erziehen. Aber die Natur selbst sorgt in solchen Fällen für Abhilfe, und in den Radletts steckte ohne Zweifel so viel von Onkel Matthew, dass sie Stürme zu überstehen vermochten, in denen gewöhnliche Kinder, wie ich eines war, völlig die Nerven verloren hätten.
2
Es war in Alconleigh allgemein bekannt, dass Onkel Matthew mich nicht ausstehen konnte. Dieser gewalttätige, unbeherrschte Mann kannte keinen mittleren Kurs, genauso wenig wie seine Kinder, entweder er liebte oder er hasste, und das muss man sagen: Meistens hasste er. Mich hasste er, weil er meinen Vater hasste; seit ihrer gemeinsamen Zeit in Eton waren sie alte Feinde. Als offenkundig wurde – und offenkundig war es seit der Stunde meiner Zeugung –, dass meine Eltern die Absicht hatten, mich vor die Tür zu setzen, kam Tante Sadie auf den Gedanken, mich gemeinsam mit Linda aufzuziehen. Wir waren gleich alt, und der Plan schien vernünftig. Aber Onkel Matthew weigerte sich kategorisch. Er verabscheue meinen Vater, so hieß es, er verabscheue mich, aber vor allem verabscheue er Kinder überhaupt, und dass er selbst zwei habe, sei schlimm genug. (Offenbar hatte er
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