Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition)
enttäuschend, bis Linda mit einem Roman kam, in dem sie die Schilderung einer in den Wehen liegenden Frau gefunden hatte. Mit schauriger Stimme las sie vor.
»Ihr Atem geht in heftigen Stößen – Schweiß rinnt ihr wie Wasser von der Stirn – Schreie wie die eines gequälten Tieres zerreißen die Luft – gehört dies schmerzverzerrte Gesicht meinem Liebling Rhona – ist diese Folterkammer wirklich unser Schlafzimmer, ist dieses Martergerüst wirklich unser Ehebett? ›Doktor, Doktor‹, schrie ich, ›so tun Sie doch etwas!‹ – und stürzte hinaus in die Nacht« – und so weiter.
Wir waren danach ziemlich verstört, denn uns war klar, auch wir würden mit einiger Wahrscheinlichkeit diese grauenhaften Qualen erdulden müssen. Tante Sadie, die eben ihr siebtes und letztes Kind bekommen hatte und die wir befragten, wirkte nicht sehr beruhigend.
»Nun ja«, meinte sie ausweichend. »Es sind die schlimmsten Schmerzen auf der Welt. Aber das Komische dabei ist, dass man zwischendurch immer vergisst, wie sie sind. Jedes Mal, wenn es anfing, hätte ich am liebsten gerufen: ›Ah, jetzt fällt es mir wieder ein, Schluss damit, Schluss!‹ Aber da war es dann natürlich neun Monate zu spät.«
In diesem Augenblick fing Linda an zu weinen und meinte, wie furchtbar das alles für Kühe sein müsse, womit das Gespräch ein Ende nahm.
Es war schwierig, mit Tante Sadie über Sexualität zu sprechen; irgendetwas war immer im Weg; Babys waren das Äußerste, weiter kamen wir nie. Allerdings gelangten sie und Tante Emily irgendwann zu der Ansicht, wir sollten mehr erfahren. Da es ihnen aber wohl zu peinlich war, uns selbst aufzuklären, schenkten sie uns ein modernes Lehrbuch über dieses Thema.
Auf diese Weise gelangten wir zu einigen seltsamen Vorstellungen.
»Jassy, das arme Ding«, sagte Linda eines Tages spöttisch, »ist von der Sexualität besessen.«
»Von der Sexualität besessen!«, meinte Jassy. »Niemand ist so besessen wie du, Linda. Ich brauche bloß ein Bild anzusehen, und schon behauptest du, ich sei ein zweiter Pygmalion.«
Am Ende holten wir uns sehr viel mehr Informationen aus einem Buch mit dem Titel Enten und Entenzucht.
»Kopulieren können Enten«, meinte Linda, nachdem sie ein Weilchen darin studiert hatte, »nur in fließendem Wasser. Na dann, viel Glück!«
Auch diesmal hockten wir am Tag vor Weihnachten im Versammlungsraum der Hons dicht beieinander, um zu hören, was Linda zu sagen hatte – Louisa, Jassy, Bob, Matt und ich.
»Reden wir über die Rückkehr in den Mutterleib«, meinte Jassy.
»Die arme Tante Sadie«, warf ich ein. »Ich glaube nicht, dass sie euch noch mal alle in ihrem haben möchte.«
»Kann man nie wissen. Kaninchen zum Beispiel fressen ihre eigenen Kinder – jemand müsste ihnen mal erklären, dass es nur ein Komplex ist.«
»Was soll man Kaninchen denn erklären? Das ist doch das Traurige bei Tieren, sie verstehen einfach nicht, wenn man ihnen etwas sagt, die armen Engel. Aber über Sadie will ich euch was sagen: Sie würde selbst gern in einen zurückkehren, sie hat einen Kistentick, daran sieht man es immer. Und sonst – Fanny, wie ist es bei dir?«
»Ich glaube nicht, dass ich gern wieder dort wäre, aber ich nehme an, der, in dem ich früher gewesen bin, war auch nicht besonders bequem, und sonst hat sich dort ja auch niemand für längere Zeit aufhalten dürfen.«
»Fehlgeburten?«, fragte Linda interessiert.
»Na, jedenfalls gewaltige Sprünge und heiße Bäder.«
»Woher weißt du?«
»Als ich noch ganz klein war, habe ich mal gehört, wie Tante Emily und Tante Sadie darüber sprachen, und später fiel es mir wieder ein. Tante Sadie sagte: ›Wie macht sie das eigentlich?‹ – und Tante Emily antwortete: ›Skifahren oder auf die Jagd gehen oder einfach vom Küchentisch springen.‹«
»Du hast ein Glück mit deinen verruchten Eltern!«
Diesen Refrain führten die Radletts ständig im Munde, und tatsächlich waren in ihren Augen meine verruchten Eltern das Interessanteste an mir – ansonsten war ich ein sehr langweiliges kleines Mädchen.
»Die Neuigkeiten, die ich heute für die Hons habe«, sagte Linda und räusperte sich wie ein Erwachsener, »sind zwar für alle Hons von Interesse, sie betreffen aber vor allem Fanny. Ich will euch nicht raten lassen, denn es ist fast Teezeit, und ihr kämt doch nicht darauf, deshalb sage ich es sofort. Tante Emily hat sich verlobt.«
Im Chor schnappten die Hons nach Luft.
»Linda«, sagte ich wütend,
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