Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition)
nicht damit gerechnet, dass er schon bald ihrer sieben haben würde, und tatsächlich lebten er und Tante Sadie in einem Zustand fortwährenden Staunens angesichts der zahlreichen Wiegen, die sie gefüllt hatten – übrigens, wie es schien, ohne eine klare Vorstellung davon zu besitzen, wie sie deren Bewohner ihrer Zukunft entgegenführen sollten.) So nahm sich denn die gute Tante Emily, der irgendwann einmal ein verruchtes, schäkerndes Monstrum das Herz gebrochen hatte und die deshalb niemals heiraten wollte, meiner an und widmete mir ihr Leben, und dafür bin ich ihr sehr dankbar. Denn sie glaubte fest an die Bildung der Frau, sie gab sich ungeheure Mühe, mir eine ordentliche Erziehung zu verschaffen, und zog nur deshalb nach Shenley, weil es dort eine gute Tagesschule gab. Die Radlett-Töchter hatten so gut wie keinen Unterricht. Lucille, ihre französische Gouvernante, brachte ihnen Lesen und Schreiben bei; jede von ihnen, obgleich sie allesamt völlig unmusikalisch waren, musste täglich eine Stunde in dem eiskalten Ballsaal »üben« – wo sie dann, die Augen auf die Uhr geheftet, den Fröhlichen Landmann und ein paar Tonleitern herunterhaspelten; und außerdem sollten sie an allen Tagen, außer wenn Jagd war, mit Lucille einen Französischspaziergang machen – darin bestand ihre ganze Schulerziehung. Onkel Matthew hasste kluge Frauen, hielt es aber für richtig, dass Frauen von Stand nicht nur reiten, sondern auch Französisch sprechen und Klavier spielen konnten. Obwohl ich sie als Kind natürlich um diese Freiheit von Zwang und Unterdrückung, von Rechnen und Wissenschaft beneidete, schöpfte ich doch eine pharisäische Befriedigung aus dem Gedanken, dass ich nicht ungebildet aufwuchs wie sie.
Tante Emily kam nicht oft mit mir nach Alconleigh. Vielleicht glaubte sie, es mache mir mehr Vergnügen, allein dort zu sein, und zweifellos tat auch ihr die Veränderung gut, einmal zu verreisen, das Weihnachtsfest bei ihren Jugendfreundinnen zu verbringen und sich ein wenig von der Verantwortung zu erholen, die sie im Alter noch auf sich genommen hatte. Tante Emily war damals vierzig, und für uns Kinder war sie ein Wesen, das der Welt, dem Fleisch und dem Teufel längst entsagt hatte. In diesem Jahr jedoch war sie schon vor Beginn der Ferien von Shenley abgereist und hatte gesagt, sie wolle mich im Januar in Alconleigh treffen.
Am Nachmittag nach der Kinderjagd berief Linda eine Versammlung der Hons ein. Die Hons waren die Geheimgesellschaft der »honorigen« Radletts. Wer den Hons unfreundlich gesinnt war, war ein Anti-Hon, und der Schlachtruf der Hons lautete »Tod den furchtbaren Anti-Hons!«. Ich war ein Hon, denn mein Vater war, wie der ihre, ein Lord.
Es gab aber auch zahlreiche Ehren-Hons; um ein Hon zu werden, musste man nicht unbedingt als solcher geboren sein. So meinte Linda einmal: »Ein gutes Herz ist mehr wert als ein Adelskrönchen und schlichte Treue mehr als normannisches Blut.« Ich weiß nicht genau, wie ernst wir das meinten, denn wir waren damals eingefleischte Snobs, aber die Grundidee leuchtete uns ein. Anführer der Ehren-Hons war Josh, der Pferdepfleger, der bei uns ungeheuer beliebt war und ganze Kübel von normannischem Blut aufwog; Oberhaupt der furchtbaren Anti-Hons war Craven, der Wildhüter, der in einem immerwährenden Krieg bis aufs Messer bekämpft wurde. Die Hons schlichen in den Wald und versteckten Cravens Stahlfallen, sie ließen die Buchfinken frei, die er ohne Nahrung und Wasser als Köder für Falken in Drahtkäfige gesperrt hatte, sie verschafften den Todesopfern in seinen Fallen ein anständiges Begräbnis, und vor einem Jagdtreffen öffneten sie die Eingänge der Fuchsbauten, die Craven so sorgfältig verstopft hatte.
Schon die Radlett-Kinder litten unter den Grausamkeiten des Landlebens, aber erst recht für mich offenbarte sich während der Ferien in Alconleigh die Welt von ihrer abscheulichsten Seite. Tante Emilys kleines Haus lag in einem Dorf, eine Schachtel im Queen-Anne-Stil mit roten Ziegeln und weißer Holzverkleidung, daneben eine Magnolie und die Luft erfüllt von einem köstlich frischen Duft. Zwischen dem Haus und dem freien Land lagen ein hübsches Gärtchen, ein eiserner Zaun, eine Dorfwiese und ein Dorf. Und die Landschaft, in die man dann gelangte, war ganz anders als in Gloucestershire, sie war zahm, gehegt und gepflegt, fast wie ein Vorstadtgarten. In Alconleigh hingegen drängten sich die grausigen Wälder bis ans Haus; es war nicht
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