Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition)
ungewöhnlich, dass man von den Schreien eines Kaninchens geweckt wurde, das in panischer Angst ein Wiesel umkreiste, oder von dem unheimlichen Ruf des Fuchsrüden, oder dass man vom Schlafzimmerfenster aus zusehen konnte, wie die Füchsin in ihrem Maul ein lebendes Huhn davonschleppte, während der schlafende Fasan und die wachende Eule die Nächte mit wilden Urweltlauten erfüllten. Im Winter, wenn der Erdboden mit Schnee bedeckt war, konnten wir die Fußspuren vieler Tiere verfolgen. Und oft endeten sie in einer Blutlache, einem Gewirr von Fellfetzen oder Federn, die von den erfolgreichen Streifzügen der Raubtiere zeugten.
Auf der anderen Seite des Hauses lag, kaum einen Steinwurf entfernt, der Gutshof. Hier wurden in aller Selbstverständlichkeit und für jeden Vorüberkommenden von Weitem sichtbar Hühner und Schweine geschlachtet, Lämmer kastriert und Rinder gebrannt. Selbst der gute alte Josh machte sich nichts daraus, einem Lieblingspferd nach der Jagdzeit mit rotglühenden Eisen ein Zeichen einzubrennen.
»Man kann nur zwei Beine auf einmal machen«, sagte er und pfiff dabei durch die Zähne, als wäre man selbst das Pferd, das er gerade versorgte, »sonst würden sie den Schmerz nicht aushalten.«
Linda und ich, wir waren selbst sehr empfindlich gegen Schmerz und fanden es unerträglich, dass Tiere im Leben so gemartert wurden und so qualvolle Tode sterben mussten. (Auch heute geht mir das noch nahe, sogar sehr, aber damals in Alconleigh waren wir alle von diesen grausamen Vorstellungen geradezu besessen.)
Die humanitären Aktivitäten der Hons hatte Onkel Matthew bei Androhung von Strafe verboten. Immer stand er auf der Seite von Craven, den er von all seinen Leuten am meisten schätzte. Fasane und Rebhühner mussten gehegt, Schädlinge rigoros ausgemerzt werden, den Fuchs ausgenommen, dem ein aufregenderer Tod vorbehalten war. So manche Tracht Prügel mussten die armen Hons einstecken, Woche für Woche wurde ihnen das Taschengeld gesperrt, sie mussten vorzeitig ins Bett oder zur Strafe mehr üben; und doch ließen sie sich nicht von ihren Aktionen abbringen. Große Kisten voll neuer Stahlfallen trafen von Zeit zu Zeit aus den Army & Navy Stores ein und lagen, bis sie gebraucht wurden, aufgestapelt bei Cravens Hütte mitten im Wald (sein Hauptquartier war ein alter Eisenbahnwaggon, der höchst unpassend zwischen Primeln und Brombeersträuchern auf einer zauberhaften kleinen Lichtung stand); Hunderte von Fallen, die uns spüren ließen, wie vergeblich es war, wenn wir unter beträchtlichen Gefahren für Leben und Eigentum jämmerliche drei oder vier von ihnen vergruben. Manchmal fanden wir ein wimmerndes Tier, das sich in einer von ihnen gefangen hatte, und mussten zu seiner Befreiung unseren ganzen Mut zusammennehmen, um dann mit anzusehen, wie es auf drei Beinen davonhumpelte, ein zermalmtes Gräuel hinter sich her schleifend. Wir wussten, dass es wahrscheinlich in seinem Bau an Blutvergiftung sterben würde; immer wieder rieb uns Onkel Matthew diese Tatsache unter die Nase, ersparte uns keine einzige der qualvollen Einzelheiten des verlängerten Martyriums, aber obwohl wir wussten, dass es gnädiger gewesen wäre, brachten wir es nie übers Herz, es zu töten; das war einfach zu viel verlangt. Oft kam es nach solchen Zwischenfällen vor, dass wir uns erbrechen mussten.
Versammlungsort der Hons war ein unbenutzter Wäscheschrank ganz oben im Haus, eng, dunkel und überaus stickig. Wie in vielen Landhäusern hatte man auch in Alconleigh unter immensem Kostenaufwand schon bald nach ihrer Erfindung eine Zentralheizung eingebaut, die inzwischen gründlich veraltet war. Trotz eines Heizkessels, der groß genug für einen Atlantikdampfer war, und trotz der Tonnen von Koks, die er Tag für Tag verzehrte, hatte die Anlage so gut wie keine Auswirkungen auf die Temperatur in den Wohnzimmern, und alle verfügbare Wärme schien sich im Wäscheschrank der Hons zu sammeln, der immer überhitzt war. Hier saßen wir auf den Lattenregalen eng zusammengedrängt und unterhielten uns stundenlang über Leben und Tod.
Unsere große Obsession während der letzten Ferien war die Geburt gewesen, ein hinreißendes Thema, über das wir erstaunlich spät etwas erfahren hatten, nachdem wir lange Zeit angenommen hatten, der Magen der Mutter würde neun Monate lang immer weiter anschwellen, dann wie ein reifer Kürbis aufplatzen und das Kind herausschleudern. Als uns die Wahrheit dämmerte, fanden wir sie ziemlich
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