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Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition)

Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition)

Titel: Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Mitford
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»das hast du erfunden.« Aber ich wusste, sie konnte es nicht erfunden haben.
    Linda zog ein Stück Papier aus der Tasche. Es war ein halber Bogen Schreibpapier, bedeckt mit Tante Emilys großer, kindlicher Handschrift, offenbar das Ende eines Briefes – ich sah Linda über die Schulter, während sie vorlas: »… meinst Du, Liebling, sollten wir den Kindern nicht sagen, dass wir verlobt sind? Aber was wäre, wenn Fanny eine Abneigung gegen ihn fasst, obwohl ich mir das nicht vorstellen kann, aber Kinder sind so komisch, wäre der Schock dann nicht noch größer? Ach, Liebe, ich kann mich nicht entscheiden. Also tu, was du für das Beste hältst, wir treffen am Donnerstag ein, am Mittwochabend werde ich anrufen, um zu hören, wie es gegangen ist. Alles Liebe, Deine Emily.«
    Die Sensation im Wäscheschrank war perfekt.

3
    »Aber warum?«, fragte ich zum hundertsten Mal. Linda, Louisa und ich, wir lagen dicht aneinandergedrängt in Louisas Bett, Bob saß am Fußende, und wir plauderten im Flüsterton. Solche Mitternachtsgespräche waren zwar streng verboten, aber in Alconleigh konnte man während der frühen Nachtstunden gefahrloser als zu jeder anderen Tages- oder Nachtzeit gegen bestehende Gebote verstoßen. Onkel Matthew schlief praktisch bei Tisch ein. Dann döste er noch ungefähr eine Stunde in seinem Geschäftszimmer, bevor er sich in schlafwandlerischer Trance endgültig in sein Bett schleppte, wo er den tiefen Schlaf eines Mannes schlief, der den ganzen Tag im Freien zugebracht hat. Aber schon mit dem ersten Hahnenschrei am nächsten Morgen war er wieder auf den Beinen. Um diese Zeit führte er mit den Hausmädchen seinen nie endenden Krieg um die Holzasche. Beheizt wurden die Räume in Alconleigh nämlich mit Holzfeuern, und Onkel Matthew vertrat zu Recht die Auffassung, damit diese Feuer richtig brennten, müsse man die ganze Asche in einem großen schwelenden Haufen in den Kaminen lassen. Aus irgendeinem Grund jedoch (wahrscheinlich ihre frühere Ausbildung an Kohlefeuern) neigten alle Hausmädchen dazu, die Asche einfach fortzuschaffen. Als die Knüffe, Verwünschungen und plötzlichen Überfälle von Onkel Matthew im Paisley-Morgenrock um sechs Uhr früh sie endlich davon überzeugt hatten, dass es nicht ratsam sei, so zu verfahren, versteiften sie sich darauf, jeden Morgen, koste es, was es wolle, wenigstens ein wenig Asche, vielleicht eine Schaufel, abzutragen. Ich kann es mir nur so erklären, dass sie dabei im Wesentlichen das eigene Selbstwertgefühl im Auge hatten.
    Das Resultat war jedenfalls ein höchst aufregender Guerillakrieg. Hausmädchen sind notorische Frühaufsteher, und im Allgemeinen können sie morgens mit drei ungestörten Stunden rechnen, in denen das Haus ganz allein ihnen gehört. Nicht so in Alconleigh. Onkel Matthew stand immer, winters wie sommers, um fünf Uhr morgens auf und hatte die Angewohnheit, sodann im Morgenrock – ein Anblick wie Agrippa – umherzuwandeln und dabei unzählige Tassen Tee aus einer Thermoskanne zu schlürfen, bis er gegen sieben sein Bad nahm. Das Frühstück für meinen Onkel, meine Tante, den Rest der Familie und alle Gäste stand um Punkt acht auf dem Tisch, und Unpünktlichkeit wurde nicht geduldet. Auf anderer Leute Morgenschlaf nahm Onkel Matthew keinerlei Rücksicht, und nach fünf Uhr war auf einen solchen nicht mehr zu hoffen, denn dann polterte er unter dem Geklirr seiner Teetasse durchs Haus, schrie die Hunde an, beschimpfte die Hausmädchen, ließ draußen auf dem Rasen die Viehpeitsche knallen, die er aus Kanada mitgebracht hatte, ein Lärm, der jeden Gewehrschuss überdröhnt hätte – und zu alledem kam noch die musikalische Untermalung aus seinem Grammofon, einem abnorm lauten, aus dessen gewaltigem Schalltrichter die Stimme der Galli-Curci mit Stücken wie Una voce poco fà – die »Wahnsinnsarie« aus Lucia di Lammermoor –, »Sieh dort die hei-tre Le-her-che« und dergleichen mehr hervorschrillte, mit Höchstgeschwindigkeit abgespielt, wodurch sie noch höher und noch kreischender ausfiel, als sie eigentlich klingen sollte.
    Nichts erinnert mich so sehr an die Tage meiner Kindheit in Alconleigh wie diese Arien. Onkel Matthew spielte sie unablässig viele Jahre lang, bis der Zauber zerbrach – als er nämlich den ganzen Weg bis Liverpool reiste, um die Galli-Curci in Person zu hören. Die Enttäuschung, die ihr Auftritt hervorrief, war so groß, dass ihre Schallplatten danach für immer schwiegen. Ersetzt wurden sie durch die

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