Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition)
tiefsten Bassstimmen, die man für Geld kaufen konnte: »Furchtbar muss der Tod des Tauchers sein, der in der Meerestie-hie-hie-fe wandelt so allein« oder »Drake zieht nach Westen, Jungs«.
Im Großen und Ganzen begrüßte die Familie diese Stücke, weil sie im Morgengrauen weniger durchdringend waren.
»Warum sie wohl jetzt heiraten will?«
»Verliebt haben kann sie sich nicht. Sie ist vierzig.«
Wie alle sehr jungen Leute hielten wir es für ausgemacht, dass die Liebe zu den Kinderspielen zählt.
»Was glaubst du, wie alt er ist?«
»Fünfzig oder sechzig, nehme ich an. Vielleicht findet sie es schön, Witwe zu werden. Mit Trauerflor und so, weißt du?«
»Vielleicht glaubt sie, der Einfluss eines Mannes werde Fanny guttun.«
»Der Einfluss eines Mannes!«, meinte Louisa. »Mir schwant Schlimmes. Angenommen, er verliebt sich in Fanny, das gäbe ein nettes Drunter und Drüber, wie Somerset und Prinzessin Elisabeth – er wird wilde Spiele mit dir spielen und dich kneifen, wenn du im Bett liegst – du wirst sehen!«
»Bestimmt nicht, in seinem Alter!«
»Alte Männer mögen kleine Mädchen.«
»Und kleine Jungs«, meldete sich Bob.
»Es sieht so aus, als wolle Tante Sadie nichts sagen, solange sie nicht da sind«, erklärte ich.
»Es bleibt ja noch fast eine Woche bis dahin – vielleicht überlegt sie es sich noch mal. Wahrscheinlich bespricht sie sich mit Pa. Es könnte sich lohnen, zuzuhören, wenn sie das nächste Mal badet. Mach du das, Bob.«
Der Weihnachtstag verging wie üblich in Alconleigh, zwischen plötzlichen Ausbrüchen von Sonnenschein und Regenschauern. Die verwirrenden Neuigkeiten über Tante Emily schlug ich mir einfach für ein Weilchen aus dem Kopf, wie Kinder das können, und konzentrierte mich ganz auf das Vergnügen. Linda und ich, wir rieben uns um sechs Uhr morgens den Schlaf aus den Augen und machten uns über die Strümpfe her. Die eigentlichen Geschenke kamen später, beim Frühstück und am Baum, aber die Strümpfe waren ein wunderbares Hors d’œuvre und voller Schätze. Schon kam Jassy herein und fing an, uns Dinge aus ihren Strümpfen zum Verkauf anzubieten. Jassy war immer nur auf Geld aus – sie sparte, um später ausreißen zu können. Ihr Postsparbuch trug sie stets bei sich, und sie wusste jederzeit auf den Penny genau, wie viel sie hatte. Mit einer ans Wunderbare grenzenden Tatkraft – denn Jassy war im Rechnen sehr schlecht – rechnete sie diesen Betrag dann in soundso viele Tage in einem möblierten Zimmer um.
»Wie kommst du voran, Jassy?«
»Die Fahrt nach London und dazu ein Monat und zwei Tage und anderthalb Stunden in einem möblierten Zimmer mit Waschgelegenheit und Frühstück.«
Woher die übrigen Mahlzeiten kommen sollten, blieb der Fantasie überlassen. Jeden Morgen studierte Jassy die Annoncen für möblierte Zimmer in der Times. Das billigste, das sie bisher gefunden hatte, lag in Claphath. Sie war so sehr hinter dem Bargeld her, mit dem sie ihren Traum verwirklichen wollte, dass man zu Weihnachten und um die Zeit ihres Geburtstags mit einiger Sicherheit ein paar günstige Geschäfte mit ihr machen konnte. Jassy war damals acht Jahre alt.
Ich muss zugeben, dass sich meine verruchten Eltern zu Weihnachten stets von ihrer allerbesten Seite zeigten, und um die Geschenke, die ich von ihnen bekam, beneidete mich immer das ganze Haus. In diesem Jahr schickte mir meine Mutter aus Paris einen vergoldeten Käfig voller ausgestopfter Kolibris, die, wenn man sie aufzog, zwitscherten, herumhüpften und an einem Brünnchen tranken. Außerdem schickte sie mir eine Pelzmütze und ein goldenes Armband mit einem Topas, die umso mehr Glanz ausstrahlten, als Tante Sadie der Ansicht war, sie seien nichts für ein Kind, und dies auch kundtat. Mein Vater schickte mir ein Pony und einen Wagen, ein hübsches, elegantes Gefährt, das ein paar Tage früher eingetroffen und von Josh in den Ställen versteckt worden war.
»Mal wieder typisch für diesen verdammten Edward, dass er es hierher schickt«, sagte Onkel Matthew, »jetzt haben wir den Ärger und können zusehen, wie wir es nach Shenley schaffen. Und ich wette, die alte Emily wird auch nicht gerade froh darüber sein. Wer, zum Henker, soll sich denn darum kümmern?«
Linda weinte vor Neid. »Es ist wirklich unfair«, sagte sie immer wieder, »dass nur du verruchte Eltern hast und ich nicht.«
Wir überredeten Josh, nach dem Mittagessen einen Ausflug mit uns zu machen. Das Pony war sehr brav, und das
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