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Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition)

Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition)

Titel: Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Mitford
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Gespann ließ sich auch von einem Kind leicht handhaben, sogar das Anschirren machte keine Schwierigkeiten. Linda trug meine Mütze und lenkte das Pony. Zum Baum kamen wir fast zu spät – das Haus war schon voller Pächter mit ihren Kindern; Onkel Matthew, der sich gerade mühsam in sein Weihnachtsmannkostüm hineinzwängte, brüllte uns so wütend an, dass Linda in Tränen ausbrach, auf ihr Zimmer gehen musste und nachher auch nicht herunterkam, um ihr Geschenk von ihm entgegenzunehmen. Darüber ärgerte sich nun wieder Onkel Matthew, der mit vieler Mühe die lang ersehnte Haselmaus für sie aufgetrieben hatte; jeden brüllte er an und knirschte mit seinen künstlichen Zähnen. In der Familie kursierte die Legende, er habe im Zorn schon vier Gebisse zerknirscht.
    Seinen gewalttätigen Höhepunkt erreichte der Abend, als Matt eine Schachtel mit Feuerwerksknallern hervorholte, die ihm meine Mutter aus Paris geschickt hatte. Auf dem Deckel hießen sie petards. Jemand fragte Matt: »Was machen Sie denn?«, worauf er zur Antwort gab: »Bien, ça pète, quoi?« Diese Bemerkung, die Onkel Matthew zufällig mitbekommen hatte, wurde mit einer erstklassigen Tracht Prügel belohnt, was eigentlich höchst unfair war, denn der arme Matt hatte nur wiederholt, was Lucille ihm irgendwann früher an diesem Tag gesagt hatte. Matt jedoch hielt Prügel für eine Art von Naturerscheinung, die in keinerlei Verbindung zu seinem eigenen Tun oder Lassen stand, und nahm sie einigermaßen gefasst hin. Ich habe mich seither oft gefragt, warum sich Tante Sadie ausgerechnet Lucille, die wirklich ein Ausbund an Vulgarität war, als Betreuerin für ihre Kinder ausgesucht hatte. Wir mochten sie alle sehr gern, sie war fröhlich und witzig und las uns andauernd vor, aber ihre Sprache war wirklich extraordinär und für unvorsichtige Leute durchsetzt mit verhängnisvollen Fallgruben.
    »Qu’est-ce que c’est ce custard qu’on fout partout?« Ich werde nie vergessen, wie Matt diesen Satz in aller Unschuld bei Fuller’s in Oxford fallen ließ, wohin Onkel Matthew uns ausgeführt hatte, um uns etwas Leckeres zu spendieren. Die Folgen waren schrecklich. Anscheinend kam es Onkel Matthew nie in den Sinn, dass Matt diese Wörter nicht von Natur aus kennen konnte und dass es wirklich fairer gewesen wäre, ihnen an der Quelle selbst Einhalt zu tun.

4
    Ich erwartete die Ankunft Tante Emilys und ihres Zukünftigen natürlich voller Unruhe. Schließlich war sie meine wirkliche Mutter, und sosehr ich mich nach der glitzernden, bösen Person verzehrte, die mich zur Welt gebracht hatte, hielt ich mich doch an Tante Emily, soweit es um jene stabile, kräftigende, wenn auch auf den ersten Blick wenig faszinierende Sicherheit ging, die wahre Mutterschaft zu geben vermag. In unserem kleinen Haushalt in Shenley ging es ruhig und beschaulich zu, ganz anders als in Alconleigh mit seinen Aufregungen und Gefühlsstürmen. Aber mag es auch eintönig gewesen sein, dieses Haus war für mich ein schützender Hafen, und ich war jedes Mal froh, wenn ich dorthin zurückkehrte. Damals begriff ich langsam, wie sehr sich in Shenley alles um mich drehte; der gesamte Tagesablauf, das frühe Mittag- und das frühe Abendessen, richteten sich danach, wann ich zur Schule musste und wann ich zu Bett ging. Nur während der Ferien, wenn ich nach Alconleigh fuhr, konnte Tante Emily ihr eigenes Leben leben, und auch diese Unterbrechungen waren nicht häufig, denn sie war der Ansicht, Onkel Matthew und das ganze stürmische Drumherum seien meinen Nerven nicht eben zuträglich. Vielleicht war mir nicht ganz bewusst, wie sehr Tante Emily ihr Leben nach mir und meinen Bedürfnissen eingeteilt hatte, aber mir war völlig klar, dass sich alles ändern würde, wenn ein Mann hinzukäme. Außer denen, die zur Familie gehörten, kannte ich keine Männer und stellte sie mir alle so vor wie Onkel Matthew oder wie meinen selten gesehenen eigenen Papa mit seinen überschwänglichen Gefühlen – in dem hübschen kleinen Haus meiner Tante wären sie jedenfalls beide völlig fehl am Platze gewesen. Deshalb sah ich sorgenvoll und beinahe furchtsam in die Zukunft und war mit meinen Nerven fast am Ende, wozu Louisa und Linda mit ihrer lebhaften Fantasie das Ihre beitrugen. Eben lag mir Louisa mit der Standhaften Nymphe in den Ohren. Sie las die letzten Kapitel daraus vor, und bald starb ich in einer Brüsseler Pension in den Armen von Tante Emilys Mann.
    Am Mittwoch telefonierte Tante Emily mit Tante

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