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Enigma

Enigma

Titel: Enigma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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Gesicht im Sarg, seine Mutter, die ihn zwang, ihm einen Abschiedskuß zu geben, die kalte Haut unter seinen Lippen, die leicht säuerlich nach Chemikalien roch wie das Labor in der Schule, und dann der noch schlimmere Geruch im Krematorium.
    »Ich brauche frische Luft«, sagte er.
    Sie nahm ihre Tasche und folgte ihm durch das Mittelschiff.
    Draußen taten sie so, als betrachteten sie die Grabsteine. Nördlich vom Friedhof, hinter Bäumen verborgen, lag Bletchley Park. Ein Motorrad knatterte die Straße in Richtung Stadt hinunter. Jericho wartete, bis das Geräusch zu einem leisen Dröhnen in der Ferne geworden war, dann sagte er: »Ich frage mich immer wieder, weshalb sie Kryptogramme gestohlen hat? Ich meine, wenn man bedenkt, was sie sonst hätte mitnehmen können. Wenn jemand ein Spion ist -« Hester öffnete den Mund, um zu protestieren, und er hob die Hand » - also gut, ich behaupte ja nicht, daß sie einer ist, aber wenn jemand ein Spion ist, dann würde er doch Beweise dafür stehlen wollen, daß Enigma geknackt worden ist? Wozu in aller Welt sollen aufgefangene Funksprüche gut sein?« Er ging in die Hocke und fuhr mit den Fingern über eine fast verblaßte Inschrift. »Wenn wir nur mehr über sie wüßten. An wen sie gesendet wurden, zum Beispiel.«
    »Darüber haben wir bereits gesprochen. Sie haben sämtliche Spuren entfernt.«
    »Aber irgend jemand muß es doch wissen«, überlegte er.
    »Jemand muß die Funksprüche aufgefangen haben. Und jemand anders muß sie übersetzt haben…«
    »Weshalb fragen Sie nicht einen Ihrer Kryptoanalytiker- Freunde? Ihr seid doch alle ein Herz und eine Seele, oder etwa nicht?«
    »Nicht sonderlich. Außerdem verlangt man von uns, daß jeder sein eigenes Leben lebt. Es gibt einen Mann in Baracke 3, der sie gesehen haben könnte…« Aber dann erinnerte er sich an Weitzmans ängstliches Gesicht (»bitte fragen Sie nicht mich, ich will es nicht wissen…) und schüttelte den Kopf.
    »Nein. Er würde uns nicht helfen.«
    »Dann ist es wirklich ein Jammer«, sagte sie ein wenig bitter, »daß Sie unsere einzigen Hinweise verbrannt haben.«
    »Sie zu behalten war zu riskant.« Er rieb immer noch langsam auf dem Stein herum. »Schließlich wäre es durchaus denkbar gewesen, daß Sie Wigram erzählten, daß ich Sie nach dem Rufzeichen gefragt habe.« Er sah sie unsicher an.
    »Sie haben es doch nicht getan, oder?«
    »Ein bißchen Verstand müssen Sie mir schon zugestehen, Mister Jericho. Wäre ich sonst hier und würde mit Ihnen reden?« Sie stapfte den Weg zwischen den Gräbern entlang und vertiefte sich wütend in ein Epitaph.
    Sie bedauerte ihre Schroffheit auf der Stelle. (»Ein Geduldiger ist besser denn ein Starker, und der seines Muts Herr ist, denn der Städte gewinnet.« Sprüche 16.32). Aber schließlich, wie Jericho später sagte, als sich ihr Verhältnis zueinander so weit verbessert hatte, daß er die Bemerkung riskieren konnte, wäre ihr, wenn sie nicht die Beherrschung verloren hätte, niemals die Lösung eingefallen. »Manchmal«, sagte er, »brauchen wir ein bißchen Spannung, um unseren Geist zu schärfen.«
    Sie war eifersüchtig, das steckte dahinter. Sie hatte sich eingebildet, Claire wirklich zu kennen, aber jetzt wurde immer deutlicher, daß sie sie praktisch überhaupt nicht gekannt hatte, kaum besser als er.
    Sie zitterte. Es war keine Wärme in dieser Märzsonne, die so kalt auf den steinernen Turm von St. Mary fiel wie von einem Spiegel reflektiertes Licht.
    Jericho war jetzt wieder auf den Beinen und wanderte zwischen den Gräbern herum. Sie fragte sich, ob sie so hätte sein können wie er, wenn man ihr erlaubt hätte, auf die Universität zu gehen. Aber ihr Vater hatte es nicht zugelassen, und statt dessen war ihr Bruder George gegangen, als wäre das ein göttliches Gesetz: Männer gehen auf die Universität, Männer knacken Codes. Frauen bleiben zu Hause, Frauen erledigen die Schreibarbeiten…
    »Hester, Hester, Sie kommen gerade rechtzeitig. Würden Sie mit Chicksands reden, seien Sie so gut, und sehen, was Sie tun können? Und wenn Sie gerade dabei sind, der Maschinenraum vermutet, daß ein Text aus der letzten Sendung Kestrel verstümmelt ist - die Bedienerin muß ihre Aufzeichnung überprüfen und ihn neu senden. Und dann müssen die Elf - Uhr - Meldungen aus Beaumanor…«
    Sie hatte schlaff vor Verzweiflung dagestanden und auf den Grabstein gestarrt, aber jetzt spürte sie, wie ihr Körper sich langsam wieder straffte.
    »Die Bedienerin

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