Enigma
IV., Erster Teil«, gähnte Atwood. »Das hat Chamberlain zitiert, als er abreiste, um sich mit Herrn Hitler zu treffen.«
Nachdem Skynner den Raum verlassen hatte, ging Logie herum und verteilte Kopien des Abschnittes über Konvoikontakte aus dem Kleinen Signalbuch. Jericho gab er, zum Zeichen der Anerkennung, das kostbare Original.
»Wir sind auf Meldungen über Kontakte mit den Konvois aus, meine Herren: so viele wie möglich in den vierundzwanzig Stunden zwischen heute um Mitternacht und morgen um Mitternacht - mit anderen Worten, die größtmögliche Menge von Eselsbrücken für die Enigma-Einstellung eines Tages.«
In der Sekunde, da der E-Auftakt gehört wurde, würde der diensthabende Offizier in der Horchstelle anrufen und sie informieren. Wenn eine Minute später die Kontaktmeldung per Fernschreiber eintraf, würden zehn Kopien angefertigt und verteilt werden. Nicht weniger als zwölf Bomben - Logie hatte die persönliche Zusage des in Baracke 6 für die Bomben verantwortlichen Mannes - würden ihnen zur Verfügung stehen, sobald sie über ein erfolgversprechendes Menü verfügten.
Als er seine Ansprache beendet hatte, wurden vor den Fenstern die Verdunkelungsläden angebracht und die Baracke für die Nacht dichtgemacht.
»Also, Tom«, sagte Puck freundlich. »Was meinen Sie, wie viele Kontaktmeldungen werden wir brauchen, damit Ihr Schema funktioniert?«
Jericho blätterte im Kleinen Signalbuch. Er schaute auf.
»Ich habe gestern versucht, es auszurechnen. Ich würde sagen, ungefähr dreißig.«
»Dreißig?« wiederholte Pinker, wobei sich seine Stimme vor Bestürzung hob. »Aber das bedeutete ein Mmm - mmm - mmm… Massaker?«
»Wie viele U-Boote brauchte man, um dreißig Signale aufzufangen?« fragte Puck.
»Ich weiß es nicht«, sagte Jericho. »Das hängt ab von der Zeit zwischen der ersten Sichtung und dem Beginn des Angriffs. Acht. Vielleicht neun.«
»Neun«, murmelte Kingcome. »Großer Gott. Sie sind am Zuge, Jack.«
»Würde mir bitte jemand sagen«, fragte Puck, »worauf ich hoffen soll? Soll ich hoffen, daß die U-Boote diese Konvois finden oder nicht?«
»Nicht«, sagte Pinker und sah sich Unterstützung heischend um. »Das liegt doch auf der Hand. Wir wollen, daß die Konvois den U-Booten entkommen. Das ist es doch, worum es bei alledem geht.«
Kingcome und Proudfoot nickten, aber Baxter schüttelte heftig den Kopf. Seine Zigarette löste sich auf und übersäte seine Strickjacke mit Tabakkrümeln. »Zum Teufel«, sagte er.
»Sie würden wirklich einen Konvoi opfern?« fragte Pinker.
»Natürlich.« Baxter wischte sorgfältig die Tabakkrümel in seine Handfläche. »Im höheren Interesse. Wie viele Männer hat Stalin bisher opfern müssen? Fünf Millionen? Zehn Millionen? Der einzige Grund, daß wir uns immer noch im Krieg befinden, ist das Gemetzel an der Ostfront. Was ist im Vergleich dazu ein Konvoi, wenn wir dadurch wieder in Shark eindringen können?«
»Was sagen Sie dazu, Tom?«
»Darauf habe ich keine Antwort. Ich bin Mathematiker, kein Moralphilosoph.«
»Das ist wieder einmal typisch.«
»Nein, nein, soweit es die moralische Logik betrifft, ist Toms Antwort die einzig rationale«, sagte Atwood. Er hatte sein Buch beiseite gelegt. Das war die Art von Diskussion, die er liebte. »Überlegen Sie doch einmal. Ein Irrer greift sich Ihre beiden Kinder, hält ihnen ein Messer an die Kehle und sagt zu Ihnen: Eines muß sterben, treffen Sie Ihre Wahl. Wem machen Sie dann Vorwürfe? Sich selbst, weil Sie eine Entscheidung treffen müssen? Nein. Doch bestimmt dem Irren.«
Jericho sagte, wobei er Puck ansah: »Aber diese Analogie beantwortet nicht Pucks Frage, worauf wir hoffen sollen.«
»Oh, meiner Meinung nach gibt sie genau darauf die Antwort, weil sie die Prämisse seiner Frage verwirft: nämlich die Präsumtion, daß die Last, eine moralische Entscheidung zu treffen, auf uns ruht. Quod erat demonstrandum.«
»Niemand ist ein besserer Haarspalter als Frank«, sagte Pinker bewundernd.
»Die Präsumtion, daß die Last, eine moralische Entscheidung zu treffen, auf uns ruht«, wiederholte Puck. Er lächelte über den Tisch hinweg Jericho an. »Schönstes Cambridge. Entschuldigen Sie mich. Ich glaube, ich muß auf die Toilette.«
Er machte sich auf den Weg in den hinteren Teil der Barakke. Kingcome und Proudfoot wendeten sich erneut ihrem Schachspiel zu. Atwood nahm den Herondas wieder auf. Baxter hantierte mit seiner Zigarettendrehmaschine. Pinker schloß die Augen.
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