Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Enigma

Enigma

Titel: Enigma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
Vom Netzwerk:
angelegt worden, damit Autos - oder wahrscheinlicher Karren - einander überholen konnten. Er fuhrt dort hinein und schaltete den Motor ab. Dann öffnete er die Wagentür und übergab sich.
    Sie hatten nicht viel Zeit. Jericho hielt auf der Straße Wache, während Hester sich im Fond des Austin umzog. Der Karte zufolge befanden sie sich nur eine Meile westlich von Shenley Brook End, und sie behauptete, daß sie noch vor Einbruch der Dunkelheit zu Fuß zu ihrem Haus zurückkehren könnte. Er staunte über ihren Mut. Nach ihrer Begegnung mit der Polizei hatte für ihn alles einen unheilschwangeren Aspekt angenommen: die Bäume, die einander im Wind zuzuwinken schienen, die dichten Schatten, die sich jetzt über die Ränder der Felder senkten, die Krähen, die sich kreischend aus ihren Nestern aufschwangen und hoch über ihnen kreisten.
    »Können wir sie nicht entschlüsseln?« hatte Hester gefragt, nachdem sie angehalten hatten. Er hatte die Kryptogramme aus der Tasche geholt, damit sie entscheiden konnten, was sie mit ihnen machen sollten. »Also, Tom, wir können sie nicht einfach verbrennen. Wenn sie geglaubt hat, sie könnte sie entschlüsseln, weshalb können wir es dann nicht?«
    Oh, dafür gibt es ein Dutzend Gründe, Hester. Sogar hundert. Aber für den Anfang erst einmal drei. Erstens brauchten sie die Vulture-Einstellungen des Tages, an dem die Funksprüche gesendet worden waren.
    »Ich kann versuchen, die zu beschaffen«, hatte sie gesagt.
    »Sie müssen irgendwo in Baracke 6 sein.«
    Also gut, vielleicht konnte sie es. Aber selbst wenn sie es schaffte, brauchten sie trotzdem noch mehrere Stunden an einer der Typ-X-Maschinen - und zwar nicht an einer der Maschinen in Baracke 8, weil die Enigmas der Marine anders verkabelt waren als die des Heeres.
    Darauf hatte sie nichts zu antworten gewußt.
    Und drittens mußten sie einen Platz finden, an dem sie die Kryptogramme verstecken konnten, weil man ihnen sonst, wenn man sie damit erwischte, im Old Bailey unter Ausschluß der Öffentlichkeit den Prozeß machen würde.
    Auch darauf wußte sie nichts zu antworten.
    Ungefähr dreißig Meter vor ihm bewegte sich etwas in der Hecke. Ein Fuchs steckte die Nase aus dem Unterholz und trottete auf den Weg. Als er ihn halb überquert hatte, blieb er stehen und starrte Jericho an. Er stand völlig reglos da und schnupperte in die Luft, dann verschwand er in der Hecke auf der anderen Seite. Jericho atmete erleichtert aus.
    Und trotzdem, trotzdem… Noch während er die einleuchtenden Einwände vorbrachte, war ihm klar, daß sie recht hatte. Sie konnten die Kryptogramme jetzt nicht einfach vernichten, nicht nach allem, was sie durchgemacht hatten, um sie zu bekommen. Und sobald das entschieden war, gab es nur einen logischen Grund dafür, sie zu behalten - sie mußten versuchen, sie zu entschlüsseln. Hester müßte irgendwie die Einstellungen stehlen, während er nach einer Möglichkeit suchte, an eine der Typ-X-Maschinen heranzukommen. Aber es war gefährlich - er betete, daß sie das begriff. Vor ihnen hatte Claire die Kryptogramme gestohlen, und sie hatten keine Ahnung, was mit ihr passiert war. Und irgendwo - möglicherweise bereits auf der Suche nach ihnen - war ein Mann, der große Fußabdrücke im Rauhreif hinterließ; ein Mann, der vermutlich mit einem gestohlenen Revolver bewaffnet war; ein Mann, der wußte, daß Jericho in Claires Zimmer gewesen war und die Funksprüche mitgenommen hatte.
    Ich bin kein Held, dachte er. Er hatte fürchterliche Angst.
    Die Wagentür ging auf, und Hester kam zum Vorschein, jetzt wieder in Hosen, Pullover, Jacke und Stiefeln. Er nahm ihre Tasche und verstaute sie im Kofferraum des Austin.
    »Steht Ihr Entschluß fest, daß ich Sie nicht fahren soll?«
    »Darüber haben wir bereits gesprochen. Es ist sicherer, wenn wir uns trennen.«
    »Seien Sie um Gottes willen vorsichtig.« ‹ »Machen Sie sich lieber Sorgen um sich selbst.« Die anbrechende Dämmerung hatte die Luft milchig gemacht, es war feucht und kalt. Ihr Gesicht begann vor seinen Augen zu verschwimmen. Sie sagte: »Wir sehen uns morgen.«
    Sie schwang sich gewandt über das Gatter und marschierte quer über das Feld davon. Er dachte, sie würde sich vielleicht umdrehen und winken, aber sie schaute kein einziges Mal zurück. Er sah ihr ungefähr zwei Minuten lang nach, bis sie sicher am anderen Ende angekommen war. Sie suchte kurz nach einer Lücke in der Hecke, dann verschwand sie wie der Fuchs.

5.
    Die Straße führte ihn

Weitere Kostenlose Bücher