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Enigma

Enigma

Titel: Enigma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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hinter sich, blieb am Fuß der Treppe stehen und rief einen Gruß hinauf.
    Stille.
    Langsam stieg sie die Stufen hinauf. Claires Zimmer war ein einziges Chaos. Entweiht - das war das Wort, das ihr in den Sinn kam. Die Persönlichkeit, die es einst widergespiegelt hatte, war durcheinandergebracht, zerstört. Ihre Kleider waren herumgeworfen worden, die Laken vom Bett gerissen, ihr Schmuck verstreut, ihre Kosmetikartikel geöffnet und der Inhalt von ungeschickten Männerhänden verschüttet worden. Zuerst dachte sie, auf allen Flächen läge Körperpuder, aber der feine weiße Staub war geruchlos, und ihr wurde klar, daß es Fingerabdruckpulver sein mußte.
    Sie machte sich ans Aufräumen, gab es aber bald wieder auf und setzte sich mit dem Kopf in den Händen auf die nackte Matratze, bis eine Woge von Selbstekel sie veranlaßte aufzuspringen. Sie putzte sich wütend die Nase und ging nach unten.
    Sie machte im Wohnzimmer Feuer und stellte einen Kessel mit Wasser auf den Rost. In der Küche stocherte sie im Herd und schaffte es, aus der bleichen Asche noch ein bißchen Glut hervorzuzaubern, legte ein paar Stück Kohle darauf und setzte einen großen Topf Wasser zum Kochen auf. Dann holte sie die Zinkwanne aus dem Schuppen und verriegelte und verschloß die Tür hinter sich.
    Sie würde alles tun wie gewohnt und dadurch ihre Ängste ersticken. Sie würde baden. Sie würde den Rest Möhrenkuchen vom Vorabend essen. Sie würde sich zeitig hinlegen und auf Schlaf hoffen.
    Denn morgen stand ihr ein fürchterlicher Tag bevor.
    In Baracke 8 herrschte eine hektische, nervöse Atmosphäre wie in der Theaterkantine am Vorabend einer Premiere.
    Jericho steuerte auf seinen üblichen Platz neben dem Fenster zu. Links von ihm Atwood, der in Dilly Knox´ Ausgabe der Mimiamben des Herondas blätterte. Ihm gegenüber Pinker, gekleidet wie für Covent Garden. Die Ärmel seiner schwarzen Samtjacke waren allerdings etwas zu lang, so daß seine dicklichen Finger herausragten wie Maulwurfsklauen. Kingcome und Proudfoot spielten Schach auf einem Taschenbrett. Baxter drehte sich mit einer kleinen Blechvorrichtung, die nicht richtig funktionierte, einen Vorrat an dünnen Zigaretten. Puck hatte die Füße auf den Tisch gelegt. Im Hintergrund klickten sporadisch die Typ-X-Maschinen. Jericho nickte allen ein Guten Abend zu, gab Atwood seinen Atlas zurück - »Danke, mein Freund. Gute Fahrt gehabt?« - und hängte seinen Mantel über die Rückenlehne seines Klappstuhls. Er war gerade noch rechtzeitig eingetroffen.
    »Gentlemen!« Logie erschien an der Tür und klatschte zweimal in die Hände, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen, dann trat er beiseite, damit Skynner vor ihm den Raum betreten konnte.
    Es gab ein allgemeines Genicke und Gescharre von Stuhlbeinen, als alle aufstanden. Jemand steckte den Kopf durch die Tür des Dechiffrierraums, und das Klappern der Typ-X- Maschinen verstummte.
    »Machen Sie sich´s doch bequem«, sagte Skynner und bedeutete ihnen, sich wieder hinzusetzen. Jericho stellte fest, daß er, wenn er die Füße unter den Stuhl klemmte, den Knöchel gegen die gestohlenen Kryptogramme drücken konnte.
    »Ich bin nur vorbeigekommen, um Ihnen Glück zu wünschen.« Skynners massiger Körper war wie der eines Gangsters aus Chicago in einen Zweireiher aus einer Riesenmenge Vorkriegsnadelstreifen eingehüllt. »Ich bin sicher, daß Sie ebenso wie ich wissen, was hier auf dem Spiel steht.«
    »Dann halten Sie die Klappe«, flüsterte Atwood.
    Aber Skynner hörte ihn nicht. Das war es, was er liebte. Er stand breitbeinig und unerschütterlich da, die Hände auf dem Rücken verschränkt. Er war Nelson vor der Schlacht von Trafalgar. Er war Churchill während der Bombenangriffe. »Ich glaube, ich übertreibe nicht, wenn ich sage, daß dies eine der entscheidenden Nächte des Krieges sein könnte.« Sein Blick wanderte von einem zum anderen und erreichte Jericho als letzten, von dem er mit einem Aufflackern von Abscheu abglitt.
    »Eine gewaltige Schlacht - vielleicht die größte Konvoischlacht des Krieges - steht unmittelbar bevor. Leutnant Cave?«
    »Der Admiralität zufolge«, sagte Cave, »wurden um neunzehn Uhr heute abend die Konvois HX-229 und SC-122 gewarnt, daß sie sich im vermuteten Operationsgebiet der U- Boote befinden.«
    »So liegen die Dinge. Aus der Nessel Gefahr pflücken wir die Blume Sicherheit.« Skynner nickte abrupt. »An die Arbeit.«
    »Habe ich das nicht irgendwo schon einmal gehört?« sagte Baxter.
    »Heinrich

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