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Enigma

Enigma

Titel: Enigma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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sie bis zum Frühjahr 1943 tausend Pfund gespart und in Kriegsanleihen angelegt und in ihrem Keller so viele Lebensmittel gehamstert, daß sie einen mittelgroßen Laden hätte eröffnen können.
    Am Mittwoch war eines ihrer Zimmer frei geworden, und schon am Freitag hatte sie einen Einquartierungsschein erhalten, mit dem sie angewiesen wurde, einen Mister Thomas Jericho bei sich aufzunehmen. Am Morgen des gleichen Tages war seine Habe von seinem bisherigen Wohnsitz vor ihrer Tür abgeliefert worden: zwei Kartons mit persönlichen Besitztümern und ein uraltes eisernes Fahrrad. Das Fahrrad rollte sie in den Hinterhof. Die Kartons trug sie nach oben.
    Ein Karton war voller Bücher. Ein paar Romane von Agatha Christie. A Synopsis of Elementary Results in Pure and Applied Mathematics, zwei Bände von einem George Shoobridge Garr. Principia Mathematica, was immer das sein mochte. Eine deutsch klingende Broschüre, On Computable Numbers, with an Application to the Entscheidungsproblem, mit einer Widmung »Für Tom mit aufrichtigem Respekt, Alan«. Weitere Bücher über Mathematik, eines so oft gelesen, daß es fast auseinanderfiel, und mit zahllosen Lesezeichen, Bus-  und Straßenbahn-Fahrscheine, ein Bierdeckel, sogar ein Grashalm. Das Buch klappte an einer Stelle auf, wo eine Passage dick unterstrichen war:… auf alle Fälle gibt es eine Aufgabe, die die echten Mathematiker im Krieg erfüllen können. Wenn die Welt wahnsinnig geworden ist, kann ein Mathematiker in der Mathematik ein unvergleichliches Gegenmittel finden. Denn von allen Künsten und Wissenschaften ist die Mathematik die entlegenste.
    Nun, der letzte Satz stimmt, dachte sie. Sie klappte das Buch zu, drehte es um und warf einen Blick auf den Rücken. A Mathematician´s Apology. G. H. Hardy. Cambridge University Press.
    Auch in dem anderen Karton steckte wenig Interessantes. Ein Farbstich aus Viktorianischer Zeit mit der Chapel des King´s College. Ein billiger »Wararlarm«-Wecker, auf elf Uhr eingestellt, in einer schwarzen Fiberschachtel. Ein Radio. Ein verstaubter Talar mit der dazugehörigen akademischen Kopfbedeckung. Eine Flasche Tinte. Ein Teleskop. Ein Exemplar der Times vom 23. Dezember 1942, beim Kreuzworträtsel aufgeschlagen, das in zwei verschiedenen Handschriften ausgefüllt worden war, die eine sehr klein und präzise, die andere schwungvoller, runder, vermutlich die einer Frau. Am oberen Rand stand 2712815. Und schließlich, auf dem Grund des Kartons, eine Karte, die, wie sich zeigte, als sie sie entfaltete, nicht England darstellte und (wie sie geargwöhnt und insgeheim gehofft hatte) auch nicht Deutschland, sondern den Nachthimmel.
    Sie war so enttäuscht von dieser schäbigen Ansammlung, daß sie, als in dieser Nacht um halb eins bei ihr angeklopft wurde und ein kleiner Mann mit einem nördlichen Akzent noch zwei Koffer dazu lieferte, sich gar nicht erst die Mühe machte, sie zu öffnen, sondern sie lediglich in sein Zimmer stellte.
    Ihr Besitzer traf am Samstag morgen um neun Uhr ein. Sie war sich in bezug auf die Zeit ganz sicher, erklärte sie später ihrer Nachbarin Mrs. Scratchwood, weil im Radio gerade die Morgenandacht zu Ende war und gleich die Nachrichten kommen sollten. Und er sah genauso aus, wie sie ihn sich vorgestellt hatte. Er war nicht sehr groß. Er war mager. Ein Büchertyp. Sah elend aus (er hielt sich den Arm, als hätte er sich gerade verletzt). Er war unrasiert und so weiß wie - sie hatte sagen wollen, »wie ein Bettlaken«, aber so weiße Laken hatte sie seit vor dem Krieg nicht mehr gesehen, jedenfalls nicht in ihrem Haus. Seine Kleidung war von guter Qualität, aber in schlechtem Zustand. Ihr fiel auf, daß an seinem Mantel ein Knopf fehlte. Aber er machte einen angenehmen Eindruck. Sehr höflich. Gute Manieren. Eine leise Stimme. Sie selbst hatte keine Kinder, nie einen Sohn gehabt, aber wenn das der Fall gewesen wäre, dann wäre er ungefähr im richtigen Alter gewesen… Nun, sagen wir einfach, er mußte aufgepäppelt werden, das konnte jeder sehen.
    Mit der Miete war sie ganz strikt. Sie verlangte immer eine Monatsmiete im voraus. Die Forderung wurde gleich unten in der Diele gestellt, noch bevor sie den Mieter hinaufbrachte, um ihm das Zimmer zu zeigen, und gewöhnlich gab es eine Diskussion, die damit endete, daß sie sich verdrießlich bereit erklärte, sich mit zwei Wochen Vorauszahlung zu begnügen. Aber er zahlte ohne jedes Widerwort. Sie verlangte sieben Pfund und sechs Schilling, und er gab ihr acht

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