Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Enigma

Enigma

Titel: Enigma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
Vom Netzwerk:
Pfund, und als sie behauptete, kein Wechselgeld zu haben, sagte er, in Ordnung, Sie können es mir später geben. Als sie seine Lebensmittelkarten erwähnte, sah er sie einen Moment völlig verwirrt an, und dann sagte er (daran würde sie sich für den Rest ihres Lebens erinnern): »Meinen Sie das da?«
    »Meinen Sie das da?« Sie wiederholte es erstaunt. Als ob er so etwas noch nie zuvor gesehen hätte! Er gab ihr das kleine braune Heft, den kostbaren Wochenpaß für vier Unzen Butter, acht Unzen Speck, zwölf Unzen Zucker, und sagte, sie könne damit tun, was sie wolle. »Ich habe nie Verwendung dafür gehabt.«
    Jetzt war sie so verblüfft, daß sie kaum noch wußte, was sie tat. Sie verstaute das Geld und die Lebensmittelkarten in ihrer Schürze, bevor er es sich anders überlegen konnte, und führte ihn nach oben.
    Ethel Armstrong hätte als erste zugegeben, daß das fünfte Zimmer im Gästehaus nicht viel hermachte. Es lag am Ende des Korridors, war nur über eine kleine Wendeltreppe zu erreichen und nur mit einem Bett und einem Kleiderschrank möbliert. Es war so schmal, daß man die Tür nicht richtig öffnen konnte, weil das Bett im Wege stand. Es hatte ein kleines, vom Ruß getrübtes Fenster, das auf das ausgedehnte Areal der Eisenbahngleise hinausging. Im Laufe von zweieinhalb Jahren mußte es an die dreißig verschiedene Bewohner gehabt haben. Keiner war länger als ein paar Monate geblieben, und einige hatten sich sogar geweigert, darin zu schlafen. Aber dieser hier setzte sich lediglich auf die Bettkante, eingezwängt zwischen seinen Kartons und seinen Koffern, und sagte erschöpft: »Sehr schön, Mrs. Armstrong.«
    Sie informierte ihn rasch über die Hausordnung, Frühstück um sieben Uhr früh, Abendessen um halb sieben Uhr abends. Für diejenigen, die in unregelmäßigen Schichten arbeiteten, würden »kalte Speisen« in der Küche bereitgestellt. Am hinteren Ende des Flurs gab es ein Badezimmer, das von allen fünf Gästen benutzt wurde. Sie durften pro Woche ein Bad nehmen, wobei die Wassertiefe zwölf Zentimeter nicht übersteigen durfte (in der Wanne mit einer Linie gekennzeichnet), und er würde sich mit den anderen einigen müssen, wann er an der Reihe war. Er würde zum Heizen seines Zimmers vier Brocken Kohle pro Abend bekommen. Das Feuer im Kamin im Wohnzimmer unten wurde pünktlich um neun Uhr gelöscht. Jeder, der beim Kochen in seinem Zimmer ertappt wurde, Alkohol trank oder Besucher empfing, insbesondere weiblichen Geschlechts - dabei hatte er schwach gelächelt -, würde vor die Tür gesetzt, und die restliche Mietvorauszahlung würde als Buße einbehalten.
    Sie erkundigte sich, ob er noch irgendwelche Fragen hatte, worauf er nichts erwiderte, was ein Glück war, weil in diesem Moment, keine dreißig Meter von dem Schlafzimmerfenster entfernt, ein Expreß mit einer Geschwindigkeit von sechzig Meilen pro Stunde vorbeikreischte und das kleine Zimmer so heftig erbeben ließ, daß Mrs. Armstrong einen Augenblick lang die grauenhafte Vision hatte, daß der Fußboden unter ihnen nachgab und sie beide in die Tiefe stürzten - hinunter durch ihr Schlafzimmer und durch die Spülküche, um dann zwischen den wachsartigen Schinken und den Dosen mit Pfirsichen zu landen, die sie in Aladins Wunderhöhle, ihrem Keller, so sorgfältig gehamstert und versteckt hatte.
    »So«, sagte sie, als der Lärm endlich vorüber war, »und jetzt verschwinde ich, damit Sie ein bißchen Ruhe und Frieden bekommen.«
    Tom Jericho saß ein paar Minuten auf der Bettkante und lauschte, wie ihre Schritte auf der Treppe verklangen, dann zog er Jackett und Hemd aus und untersuchte seinen pochenden Unterarm. Er hatte zwei Blutergüsse dicht unterhalb des Ellenbogens, so schwarz und scharf umrissen wie Trockenpflaumen, und jetzt fiel ihm wieder ein, an wen Skynner ihn immer erinnert hatte - an einen Vertrauensschüler namens Fane, Sohn eines Bischofs, der es liebte, neue Jungen zur Teezeit in seinem Zimmer mit dem Rohrstock zu schlagen, und von ihnen verlangte, daß sie hinterher »danke, Fane« sagten. Es war kalt in dem Zimmer, er begann zu zittern und bekam eine Gänsehaut. Eine große Müdigkeit überkam ihn. Er machte einen seiner Koffer auf, holte einen Schlafanzug heraus und zog ihn schnell an. Er hängte sein Jackett auf und dachte daran, auch seine restlichen Sachen auszupacken, entschied sich aber dagegen. Vielleicht war er schon morgen früh nicht mehr in Bletchley. Mein Gott, das war ein Witz - er fuhr sich mit

Weitere Kostenlose Bücher