Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Enigma

Enigma

Titel: Enigma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
Vom Netzwerk:
mögliche sein können. Er hätte ihr nicht die Wahrheit zu sagen brauchen. Und jetzt, wo sie fort ist, fallen ihm hundert plausible Erklärungen für das Geld ein. Was hatte er getan, um sie dermaßen in Schrecken zu versetzen? Was für eine grauenhafte Erinnerung hatte er geweckt?
    Er stöhnt und zieht sich die Decke über den Kopf.
    Am nächsten Morgen bringt er den Scheck zur Bank und kassiert dafür zwanzig große, frische Fünf - Pfund - Noten. Dann geht er in das schäbige kleine Juweliergeschäft in der Bletchley Road und verlangt einen Ring, irgendeinen Ring, Hauptsache, er ist hundert Pfund wert. Daraufhin legt ihm der Juwelier - ein Frettchen von einem Mann mit einer kieselsteindicken Brille, der sein Glück kaum fassen kann - einen Brillantring vor, der nur halb soviel wert ist, und Jericho kauft ihn.
    Er wird es wiedergutmachen. Er wird sich entschuldigen. Es kommt alles wieder in Ordnung.
    Aber das Glück ist nicht auf Jerichos Seite. Er ist zum Opfer seines eigenen Erfolgs geworden. Die Entschlüsselung einer Shark - Nachricht ergibt, daß ein U - Boot - Tanker - die U - 459, befehligt von Korvettenkapitän von Wilamowitz - Moellendorf, mit 700 Tonnen Treibstoff an Bord - sich mit dem italienischen U - Boot Calvi treffen und es auftanken soll, und zwar 300 Meilen östlich des Sankt - Paul - Felsens, mitten im Atlantik. Und irgendein Idiot in der Admiralität, der vergessen hat, daß nie etwas unternommen werden darf, auch wenn die Versuchung noch so groß ist, was das Enigma - Geheimnis gefährden könnte, schickt ein Geschwader Zerstörer los. Der Angriff findet statt. Er scheitert. Die U - 459 entkommt. Und Dönitz, dieser schlaue Fuchs in seinem Pariser Bau, schöpft sofort Verdacht. In der dritten Januarwoche entschlüsselt Baracke 8 eine Reihe von Funksprüchen, mit denen die U - Boot - Flotte angewiesen wird, ihre Sicherheitsvorkehrungen beim Chiffrieren zu verstärken. Die Shark - Meldungen lassen erheblich nach. Sie haben kaum genügend Material, um ein »Menü« für die Bomben zu erarbeiten. In Bletchley wird für alle jeglicher Ausgang gestrichen. Schichten von acht Stunden dauern zwölf, dann sechzehn Stunden… Die tägliche Schlacht um das Knacken der Codes ist ein Alptraum, der fast ebenso groß ist, wie er es im tiefsten Dunkel des Shark - Blackouts war, und alle spüren Skynners Peitsche auf dem Rücken.
    Jerichos Welt hat sich binnen einer Woche von ständigem Sonnenschein in den ödesten Winter verwandelt. Seine Botschaften an Claire, voller Flehen und Reue, verschwinden unbeantwortet im luftleeren Raum. Er kann nicht aus der Barakke heraus, um sich mit ihr zu treffen. Er kann nicht arbeiten. Er kann nicht schlafen. Und da ist niemand, mit dem er reden könnte. Mit Logie, der sich hilflos hinter seiner Wand aus Tabaksqualm verschanzt? Mit Baxter, der eine Affäre mit einer Frau wie Claire Romilly als Verrat an den Proletariern der Welt ansehen würde? Mit Atwood - Atwood! - , dessen sexuelle Abenteuer sich bisher darauf beschränkten, daß er die hübscheren Studenten für ein Golf - Wochenende nach Brancaster mitnahm, wo sie schnell feststellten, daß von allen Badezimmertüren die Schlösser entfernt worden waren? Puck wäre eine Möglichkeit gewesen, aber Jericho konnte sich seinen Ratschlag vorstellen - »Suchen Sie sich eine andere, mein lieber Thomas, und gehen Sie mit der ins Bett« - , und wie konnte er die Wahrheit gestehen: daß er nicht mit einer anderen ins Bett wollte, daß er nie mit einer anderen ins Bett gegangen war?
    Am letzten Januartag, als er gerade bei Brinklow in der Victoria Road die Times gekauft hat, sieht er sie in einiger Entfernung mit einem anderen Mann und weicht in einen Hauseingang zurück. Davon abgesehen bekommt er sie nie zu Gesicht: Der Park ist zu groß geworden, es gibt zu viele Schichtwechsel. Schließlich bleibt ihm nichts anderes übrig, als nahe der Einmündung des Weges zu ihrem Haus auf der Lauer zu liegen, aber sie scheint überhaupt nicht mehr nach Hause zu kommen.
    Und dann stößt er beinahe mit ihr zusammen.
    Es ist der 8. Februar, ein Montag, um vier Uhr nachmittags. Er kehrt erschöpft von der Kantine in die Baracke zurück; sie befindet sich inmitten einer Menschenmenge, die nach dem Ende der Nachmittagsschicht auf das Tor zustrebt. Er hat diesen Augenblick so viele Male geprobt, aber nun bringt er nicht mehr zustande als ein vorwurfsvolles Winseln: »Weshalb beantwortest du meine Briefe nicht?«
    »Hallo, Tom.«
    Sie versucht

Weitere Kostenlose Bücher