Enigma
Einzelbett. »Turing glaubt, daß es keinen vernünftigen Grund dafür gibt, weshalb eine Maschine nicht imstande sein sollte, all das zu leisten, was auch das menschliche Gehirn zu leisten vermag. Rechnen. Kommunizieren. Ein Sonett schreiben.«
»Sich verlieben?«
»Sofern Liebe logisch ist.«
»Ist sie das?«
»Komm ins Bett.«
»Dieser Turing, arbeitet der auch im Park?«
Er antwortet nicht. Sie durchblättert die Abhandlung, betrachtet angewidert die mathematischen Formeln, dann stellt sie sie zu den anderen Büchern zurück und öffnet eine der Schubladen. Als sie sich vornüberbeugt, rutscht das Hemd höher hinauf. Der untere Teil ihres Hinterns leuchtet weiß im Halbdunkel. Er starrt wie gebannt auf das weiche Dreieck aus Fleisch am unteren Ende ihrer Wirbelsäule, während sie in seinen Sachen herumwühlt.
»Ah«, sagt sie, »endlich habe ich etwas gefunden.« Sie holt ein Stück Papier heraus. »Ein Scheck über 100 Pfund, vom Spezialfonds des Außenministeriums, ausgestellt für dich…«
»Gib ihn mir.«
»Weshalb?«
»Leg ihn zurück.«
In Sekundenschnelle ist er aus dem Bett und steht neben ihr, aber sie ist schneller als er. Sie steht auf Zehenspitzen und hält den Scheck in die Höhe, und sie ist genau diese zwei Zentimeter größer als er. Der Scheck flattert wie ein Fähnchen außerhalb seiner Reichweite.
»Ich wußte doch, daß da etwas sein mußte. Nun sag schon, Darling, wofür hast du ihn bekommen?«
Er hätte das verdammte Ding schon vor Wochen zur Bank geben sollen. Er hatte es völlig vergessen. »Claire, bitte…«
»Du mußt in eurer Marinebaracke etwas ganz Tolles gemacht haben. Ein neuer Code? Ist es das? Hat mein kluger, kluger Liebling irgendeinen ganz wichtigen neuen Code geknackt?«
Sie mag größer sein als er, sie mag sogar kräftiger sein, aber er hat den Vorteil der Verzweiflung. Er faßt sie am Bizeps, zieht ihren Arm herunter und dreht sie um. Sie kämpfen einen Moment, dann wirft er sie auf das schmale Bett. Er entwindet den Scheck ihren Fingern mit den abgekauten Nägeln und zieht sich in eine Ecke des Zimmers zurück.
»Das ist nicht lustig, Claire. Manche Dinge sind einfach nicht lustig.«
Er steht auf dem groben Teppich - nackt, schlank, vor Anstrengung keuchend. Er faltet den Scheck und verstaut ihn in seiner Brieftasche, steckt die Brieftasche in sein Jackett und wendet ihr den Rücken zu, um das Jackett wieder in den Schrank zu hängen. Während er das tut, hört er ein merkwürdiges Geräusch hinter sich - ein beängstigendes Tiergeräusch - , etwas zwischen einem keuchenden Atem und einem Schluchzen. Sie hat sich auf dem Bett fest zusammengerollt, die Knie bis an den Bauch hochgezogen, die Unterarme ans Gesicht gedrückt.
Großer Gott, was hat er getan?
Er fängt an, Entschuldigungen zu stammeln. Er wollte ihr keine Angst einjagen und ihr schon gar nicht weh tun. Er geht zum Bett und setzt sich neben sie. Behutsam berührt er ihre Schulter. Sie scheint es nicht zu bemerken. Er versucht, sie an sich zu ziehen, sie auf den Rücken zu drehen, aber jetzt ist sie so steif wie eine Leiche. Die Schluchzer erschüttern das Bett. Es ist ein Anfall. Sie ist irgendwo jenseits des Kummers, irgendwo ganz weit weg, außerhalb seiner Reichweite.
»Ist ja gut«, sagt er. »Ist ja gut.«
Er kann die Decke nicht unter ihr hervorziehen, also holt er seinen Mantel und deckt sie damit zu, und dann legt er sich neben sie, zitternd in der Kälte der Januarnacht, und streicht ihr übers Haar.
So bleiben sie ungefähr eine halbe Stunde liegen, bis sie endlich wieder ruhig geworden ist, aufsteht und anfängt, sich anzuziehen. Er bringt es nicht fertig, sie anzusehen, und hütet sich, etwas zu sagen. Er kann lediglich hören, wie sie sich im Zimmer herumbewegt und ihre verstreuten Kleidungsstücke aufsammelt. Dann fällt die Tür leise ins Schloß. Die Treppe knarrt. Eine Minute später hört er, wie sie ihr Fahrrad unter seinem Fenster vorbeischiebt.
Und damit beginnt sein eigener Alptraum.
Am Anfang steht Schuldbewußtsein, das verheerendste aller Gefühle, noch qualvoller als Eifersucht (obwohl Eifersucht ein paar Tage später hinzukommt, als er sie zufällig in Bletchley mit einem Mann sieht, den er nicht kennt. Der Mann kann jeder beliebige sein, ein Cousin, ein Freund, ein Kollege, aber das kann seine Phantasie natürlich nicht akzeptieren). Weshalb hat er auf eine so kleine Provokation so dramatisch reagiert? Schließlich hätte der Scheck eine Belohnung für alles
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