Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Enigma

Enigma

Titel: Enigma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
Vom Netzwerk:
viktorianisches Mausoleum, in dessen schwarzes Mauerwerk wie ein Epitaph in Goldbuchstaben die Worte FINE WHISKYS, PORTS AND STOUTS eingelegt waren. Er konnte ein schlecht gestimmtes Klavier hören, auf dem jemand »The Londonderry Air« spielte, und einen Moment lang war er versucht, hineinzugehen, sich einen Drink geben zu lassen, jemanden zu finden, mit dem er sich unterhalten konnte. Aber dann stellte er sich die Unterhaltung vor –
    »Und womit verdienen Sie Ihre Brötchen, Freund?«
    »Ich arbeite für die Regierung.«
    »Öffentlicher Dienst?«
    »Fernmeldewesen. Nichts Besonderes. Sagen Sie, darf ich Ihnen noch einen Drink holen…?«
    »Sind Sie von hier?«
    »Nicht direkt…«
    - und er dachte, nein, besser, sich von Unbekannten fernzuhalten; und noch besser, überhaupt nichts zu trinken. Als er in die Albion Street einbog, hörte er Schritte hinter sich und wirbelte herum. Die Tür des Lokals war geöffnet worden, einen Augenblick drangen Farbe und Musik auf die Straße, dann wurde sie geschlossen, und die Straße war wieder dunkel.
    Die Pension lag ungefähr in der Mitte der Albion Street, auf der rechten Seite, und er hatte sie fast erreicht, als er auf der linken Seite einen Wagen sah. Er verlangsamte seine Schritte. Er wußte nicht, ob es der gleiche Wagen war, der sich im Park so merkwürdig verhalten hatte, obwohl er ihm sehr ähnlich sah. Aber dann, als er sich fast auf gleicher Höhe mit ihm befand, riß einer der Insassen ein Streichholz an. Als der Fahrer sich vorbeugte, um das Licht mit der Hand abzuschirmen, sah Jericho auf seinem Ärmel die drei weißen Streifen eines Polizeisergeanten.
    Er schloß die Haustür auf und betete, daß er die Treppe erreicht hatte, bevor Mrs. Armstrong wie ein Nachtjäger aufstieg und sich in der Diele auf ihn stürzte. Aber es half nichts. Sie mußte auf das Geräusch seines Schlüssels im Schloß gewartet haben. Sie kam durch eine nach Kohl und Innereien riechende Dampfwolke hindurch aus der Küche. Im Eßzimmer gab jemand ein würgendes Geräusch von sich, und dann wurde laut gelacht.
    Jericho sagte schwach: »Ich glaube, ich habe nicht viel Hunger, trotzdem vielen Dank, Mrs. Armstrong.«
    Sie trocknete sich die Hände an der Schürze ab und deutete mit einem Kopfnicken auf eine geschlossene Tür. »Sie haben Besuch.«
    Er hatte gerade einen Fuß entschlossen auf die unterste Stufe gesetzt. »Ist es die Polizei?«
    »Aber, Mr. Jericho, welchen Grund sollte die Polizei haben, hierherzukommen? Es ist ein sehr gut aussehender junger Gentleman. Ich habe ihn«, setzte sie bedeutungsschwer hinzu, »in den Salon gebeten.«
    Den Salon! Offen für jeden Gast werktags von acht bis zehn, samstags und sonntags bereits von der Teezeit ab: so formell wie das Empfangszimmer eines Herzogs, mit einer dreiteiligen Sitzgarnitur und Schondeckchen (von der Besitzerin höchstpersönlich angefertigt), einer Mahagoni-Stehlampe mit fransenbesetztem Schirm, einer Reihe von Bierseideln in Form von grinsenden alten Männern mit Dreispitz, säuberlich auf dem Sims des eiskalten Kamins aufgereiht. Was für ein Besucher mochte das sein, dem der Zutritt zum Salon gestattet wurde?
    Anfangs erkannte er ihn nicht wieder. Goldblondes Haar, ein blasses, sommersprossiges Gesicht, blaßblaue Augen, ein geübtes Lächeln. Kam durch den Raum hindurch auf ihn zu, die rechte Hand ausgestreckt, in der linken einen Anthony- Eden-Hut, über den breiten Schultern einen Fünfzig-Guineen- Mantel aus der Savile Row. Eine Mischung aus guter Erziehung, Charme und Bedrohung.
    »Wigram. Douglas Wigram. Außenministerium. Wir sind uns gestern begegnet, wurden einander aber nicht richtig vorgestellt…«
    Er ergriff Jerichos Hand leicht und auf merkwürdige Art, mit einem in die Handfläche gekrümmten Finger, und es dauerte einen Moment, bis Jericho begriffen hatte, daß dies eine Freimaurerbegrüßung gewesen war.
    »Quartier in Ordnung? Ein super Zimmer. Wirklich super. Können wir irgendwo anders hingehen? Wo wohnen Sie? Oben?«
    Mrs. Armstrong stand noch in der Diele vor dem ovalen Spiegel und zupfte an ihrem Haar herum.
    »Mister Jericho hat vorgeschlagen, daß wir unser kleines Gespräch oben in seinem Zimmer fortsetzen. Sie haben doch nichts dagegen, Mrs. Arm… ?« Er wartete nicht auf eine Antwort. »Gehen wir, ja?«
    Er streckte den Arm aus, immer noch lächelnd, und Jericho mußte feststellen, daß er die Treppe hinaufgedrängt wurde. Er kam sich vor, als wäre er hereingelegt oder beraubt worden, hatte

Weitere Kostenlose Bücher