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Enigma

Enigma

Titel: Enigma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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Kryptoanalytiker aus Baracke 8 verschwindet? Und zwar genau an dem Tag, an dem er zurückkommt?«
    Jerichos Blick flackerte und ging unwillkürlich zu dem Stich der Chapel hinüber. »Ich habe es Ihnen schon gesagt. Ich habe nie mit Claire über meine Arbeit gesprochen. Ich hatte sie seit einem Monat nicht mehr gesehen. Und sie war nicht meine Freundin.«
    »Nein? Was war sie dann?«
    Was war sie dann? Eine gute Frage. »Ich wollte sie einfach wiedersehen«, sagte er matt. »Ich konnte sie nicht finden und machte mir Sorgen.«
    »Haben Sie ein Foto von ihr? Ein neueres?«
    »Nein. Ich habe überhaupt keine Fotos von ihr.«
    »Tatsächlich? Das ist ja merkwürdig. Eine so hübsche junge Frau wie sie. Wo bekommen wir ein Foto her? Uns bleibt nichts anderes übrig, als das Paßfoto aus ihrer Dienstakte zu benutzen.«
    »Wofür benutzen?«
    »Können Sie mit einer Waffe umgehen, Mister Jericho?«
    »Ich könnte nicht einmal eine Ente auf einem Jahrmarkt treffen.«
    »Das dachte ich mir, obwohl man einen Mann nie nach seinem Aussehen beurteilen sollte. Es ist aber so, daß am Freitag abend im Arsenal der Wachmannschaften in Bletchley Park eingebrochen wurde. Zwei Dinge fehlen. Ein Smith-and-Wesson-Revolver, Kaliber .38, hergestellt in Springfield, Massachusetts, im vorigen Jahr an unsere Wachleute ausgegeben. Und eine Schachtel mit sechsunddreißig Schuß Munition.«
    Jericho sagte nichts. Wigram musterte ihn eine Weile, als dächte er über irgend etwas nach. »Kein Grund, weshalb Sie das nicht wissen sollten. Ein vertrauenswürdiger Mann wie Sie. Kommen Sie, setzen Sie sich.« Er schlug eine Kuhle in das Federbett. »Ich kann nicht das größte verflixte Geheimnis des Britischen Empire quer durch Ihr verflixtes Schlafzimmer brüllen. Kommen Sie. Ich beiße nicht, das versprech´ ich.«
    Widerstrebend setzte sich Jericho hin. Wigram beugte sich vor. Dabei sperrte sein Jackett ein wenig, und Jericho erhaschte einen Blick auf Leder und schwarzes Metall auf dem weißen Hemd.
    »Sie wollen wissen, wer ich bin?« sagte er leise. »Ich werde es Ihnen sagen. Ich bin der Mann, den unsere Herren und Meister damit beauftragt haben herauszufinden, was hier in unserem kleinen anus mundi vor sich geht.« Er sprach so leise, daß Jericho gezwungen war, mit dem Kopf dicht an den anderen heranzugehen. »Die Glocken läuten. Fürchterliche Glocken. Vor fünf Tagen hat Baracke 6 einen Funkspruch des deutschen Heeres aus Afrika entschlüsselt. Generalfeldmarschall Rommel entpuppt sich als eine Art Spielverderber. Scheint zu denken, der einzige Grund dafür, daß er verliert, wäre der, daß wir wie durch ein Wunder immer wissen, wo genau er anzugreifen gedenkt. Ganz plötzlich verlangt das Afrikakorps eine Sicherheitsüberprüfung. Ding dong. Zwölf Stunden später beschließt Admiral Dönitz aus bisher unbekannten Gründen, den Wettercode der U-Boote zu ändern. Wieder ding dong. Heute ist es die Luftwaffe. Vier deutsche Frachter, beladen mit hübschen Sächelchen für den bereits erwähnten Rommel, werden von der Royal Air Force - wie sollen wir es ausdrücken - ›überrascht‹ und auf dem Weg nach Tunesien versenkt. Heute morgen erfahren wir, daß kein Geringerer als Generalfeldmarschall Kesselring, Oberbefehlshaber Süd, wissen will, ob die Möglichkeit besteht, daß der Feind ihre Codes knacken kann.« Wigram klopfte Jericho auf das Knie. »Alarmglocken, Mister Jericho. Lauter als die Glocken zur Krönung in der Westminster Abbey. Und mittendrin verschwindet Ihre Freundin, zur gleichen Zeit wie ein brandneues Schießeisen und eine Schachtel Munition.«
    »Mit wem oder was haben wir es hier zu tun?« sagte Wigram. Er hatte ein kleines schwarzes Ledernotizbuch und einen goldenen Drehbleistift hervorgezogen. »Claire Alexandra Romilly. Geboren: London, einundzwanzigster Dezember zweiundzwanzig. Vater: Edward Arthur Macauley Romilly, Diplomat. Mutter, Alexandra Romilly, geborene Harvey, im August neunundzwanzig bei einem Autounfall in Schottland ums Leben gekommen. Das Kind wird im Ausland privat unterrichtet. Auslandsposten des Vaters: Bukarest, achtundzwanzig bis einunddreißig; Berlin, einunddreißig bis vierunddreißig; Washington, vierunddreißig bis achtunddreißig. Ein Jahr in Athen, dann zurück nach London. Das Mädchen befindet sich um diese Zeit in irgendeinem feinen Pensionat in Genf. Bei Ausbruch des Krieges kehrt sie nach London zurück, inzwischen siebzehn. Hauptbeschäftigung während der nächsten drei Jahre, soweit

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