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Enigma

Enigma

Titel: Enigma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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daß wir morgen um diese Zeit ins Schwitzen geraten werden.« Jericho griff dankbar nach seinem Mantel. »Haben Sie mit Skynner gesprochen?«
    »Über den Plan, ja. Nicht über Sie. Er hat nicht gefragt, und ich habe mich gehütet, das Thema zur Sprache zu bringen.«
    »Sie wollen doch nicht behaupten, er hätte es vergessen?«
    Logie zuckte die Achseln. »Da braut sich irgendeine andere Sache zusammen, die ihn vollauf zu beschäftigen scheint.«
    »Welche andere Sache?«
    Aber Logie war schon weitergegangen. »Wir sehen uns morgen. Sorgen Sie dafür, daß Sie ein bißchen Schlaf bekommen.«
    Jericho brachte den Stapel Shark-Funksprüche in die Registratur zurück und verließ die Baracke. Die Märzsonne, die sich den ganzen Tag kaum über die Baumkronen erhoben hatte, war hinter dem Herrenhaus verschwunden und hatte nur einen verblassenden Streifen aus Primelgelb und Blaßorange am Rande eines indigoblauen Himmels zurückgelassen. Der Mond war bereits aufgegangen, und Jericho konnte das Dröhnen von Bombern hören, weit weg, einen ganzen Haufen, der sich zum Nachtangriff auf Deutschland formierte. Im Gehen sah er sich staunend um. Die Mondscheibe, die sich in dem unbewegten See spiegelte, das Feuer am Horizont - es war ein außergewöhnliches Zusammentreffen von Licht und Symbolen, das fast den Charakter eines Vorzeichens hatte. Er war so versunken, daß er fast an der Telefonzelle vorbeigelaufen wäre, bevor ihm bewußt wurde, daß sie leer war.
    Ein letzter Versuch? Er warf einen Blick auf den Mond. Warum nicht?
    Unter der Kensington-Nummer meldete sich noch immer niemand, also entschloß er sich, einem Impuls folgend, es im Außenministerium zu versuchen. Die Vermittlung verband ihn mit der Zentrale, und er fragte nach Edward Romilly.
    »Welche Abteilung?«
    »Das weiß ich leider nicht.«
    In der Leitung trat Stille ein. Die Chancen, daß Edward Romilly an einem Sonntagabend an seinem Schreibtisch saß, waren minimal. Er lehnte seine Schultern an die Glasscheibe der Telefonzelle. Ein Wagen fuhr langsam vorbei und hielt ungefähr zehn Meter entfernt an. Die Bremslichter glühten rot in der Dämmerung. Es gab ein Klicken, und Jericho konzentrierte sich wieder auf sein Gespräch.
    »Ich stelle Sie durch.«
    Ein Freizeichen und dann eine kultivierte Frauenstimme, die sagte: »Deutschland-Abteilung.«
    Deutschland - Abteilung?
    Einen Moment war er verblüfft. »Äh, Edward Romilly, bitte.«
    »Und wen darf ich bitte melden?«
    Mein Gott, er war tatsächlich da. Er zögerte abermals.
    »Einen Freund seiner Tochter.«
    »Bitte warten Sie.«
    Seine Finger umkrampften den Hörer so fest, daß sie bereits schmerzten. Er versuchte, sich zu entspannen. Es gab keinen guten Grund, weshalb Romilly nicht in der Deutschland-Abteilung arbeiten sollte. Hatte Claire ihm nicht einmal erzählt, daß ihr Vater um die Zeit, als die Nazis an die Macht kamen, an der Botschaft in Berlin tätig gewesen war? Sie mußte zehn oder elf Jahre alt gewesen sein. Damals hatte sie wohl auch Deutsch gelernt.
    »Tut mir leid, Sir. Mr. Romilly ist bereits gegangen. Wie ist Ihr Name, bitte, damit ich ihm sagen kann, daß Sie angerufen haben?«
    »Danke. Es war nicht so wichtig. Gute Nacht.« Er legte schnell auf. Ihm gefiel die Wendung nicht, die das Gespräch genommen hatte. Und der Anblick dieses Wagens gefiel ihm auch nicht. Er verließ die Telefonzelle und ging auf das Auto zu - ein niedriges, schwarzes Gefährt mit breiten, wegen der Verdunkelung weiß umrandeten Trittbrettern. Der Motor lief. Als er näher herankam, machte der Wagen plötzlich einen Satz vorwärts und schoß auf der gewundenen Straße in Richtung Haupttor davon. Er lief hinterher, aber als er das Tor erreicht hatte, war er verschwunden.
    Als Jericho den Abhang hinunterging, verschwand der vage Umriß der Stadt in der Dunkelheit. Einen derartigen Anblick hatte seit mindestens einem Jahrhundert keine Generation mehr erleben können. Selbst zu Zeiten seines Urgroßvaters hätte es irgendeine Art von Beleuchtung gegeben - das Licht einer Gaslampe oder einer Kutschenlaterne, das bläuliche Glimmen der Paraffinlampe eines Nachtwächters -, aber jetzt war nichts dergleichen zu sehen. Wie das Tageslicht verging, so verging auch Bletchley. Es schien in einem schwarzen See zu versinken. Er hätte irgendwo sein können.
    Jetzt wurde er sich einer gewissen Paranoia bewußt, und die Dunkelheit verstärkte seine Befürchtungen. Er kam an einem Lokal dicht neben der Eisenbahnbrücke vorbei, ein

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