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Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)

Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)

Titel: Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonia Mikich
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unterbrochen wird. Das mag sein. Die normalen in Tarifvertrag und Arbeitszeitgesetz festgelegten Arbeitszeiten reichen oft nicht aus. Der Stellenschlüssel? Der wird auf dem Papier berechnet. Fünf Minuten können bei einer Grippe ausreichen. Reichen aber zehn Minuten, um einem Patienten zu erklären, wie sein Schlüsselbeinbruch behandelt werden sollte? Wie viel Zeit ist erforderlich, um einem 20-Jährigen zu erklären, was Multiple Sklerose ist? Muss man beim Krebs operieren oder besser nicht? Was bedeutet die Krebserkrankung für die Lebensqualität? Wenn jemand Krebs hat, dann weiß man, da ist oft nicht mehr viel Zeit. Wäre es wünschenswert, nichts zu unternehmen? Bestrahlen? Chemo? Nur Operation? Was bedeutet das für die Lebensqualität? Man sollte sich für jeden Weg relativ viel Zeit nehmen, und dies nicht nur bei einem Treffen, sondern bei mehreren. Klingt nach einem Idealzustand. Lässt sich das umsetzen? Es ist banal: Wenn der Arzt nicht für die operative Leistung, sondern für seinen Zeitaufwand bezahlt würde, dann könnte man auch vernünftig, sogar unnötig viel mit dem Patienten reden. Aber heute wird das große Geld mit der Operation verdient: Je weniger Zeit ich mit Ihnen verbringe, desto mehr Zeit habe ich, um mit den anderen Patienten zu sprechen, die dann bei mir auf dem OP -Tisch landen. Die meiste Zeit kann beim Patientengespräch gespart werden, leider.
    Ich bin es gewohnt, zwölf Stunden und mehr pro Tag zu arbeiten. Ich bin in einer Zeit groß geworden, als das normal war. Diese Zeiten sind vorbei, der Zeitgeist ist anders. Man sieht es ja am Ärztemangel. Die Jüngeren sind nicht bereit, unter solchen Bedingungen im Krankenhaus zu arbeiten. Sie lernen schnell: Ein Arzt muss viel Scheiße fressen. Sechs Jahre Studium, sechs Jahre Facharztausbildung im Krankenhaus. Das sind zwölf Jahre deines Lebens, wo du dich für die Gesellschaft nützlich machst, wo du relativ wenig Geld bekommst, relativ wenig Freizeit hast und zwölf Jahre deines Lebens Abstriche in ganz vielen Bereichen machen musst. Und danach? Oberarzt, Chef oder Praxis übernehmen. Die Zeiten sind vorbei, in denen all dies erstrebenswert war. Fallpauschalen und Arbeitsverdichtung auf der einen und mangelnde Wertschätzung der eigenen Tätigkeit auf der anderen Seite. Das ist die Realität eines Arztes im Krankenhaus.
    Woher ich persönlich Wertschätzung bekomme? Es ist ganz banal. Es ist nicht die Geschäftsführung. Es ist nicht mein Chef. Es ist nicht die Wertschätzung von Kollegen oder von irgendwem im Krankenhaus. Sondern der Patient, dem man geholfen hat, er ist für mich der einzige Antrieb. Im Krankenhaus ist niemand, der einem auf den Rücken klopft. Du wirst schlecht bezahlt. Du opferst deine Freizeit, und du hast zu Hause eine unzufriedene Familie. Es gibt viele Leute, die stehen darauf, einen weißen Kittel anzuziehen. Aber meine Motivation ist der Patient.

Der Aussteiger
Dr. Paul Brandenburg, Notfallarzt
    Ein Flüstergespenst geht um in deutschen Krankenhäusern: Stimmen werden plötzlich gesenkt und Türen verschlossen, als lauere der Geheimdienst um die Ecke. Dabei geht es nur um kritische Informationen, die nicht unter Verschluss bleiben sollten. Wie oft ich im letzten Jahr gehört habe, dass das Gesundheitswesen krank ist und krank macht. Wie oft erzählte mir ein Arzt »im Vertrauen«, was um ihn herum passiert. Der Standardsatz: »Sie können das benutzen, aber ich kann nicht zitiert werden.« Wie oft Fernsehjournalisten ihre Informanten anonymisieren, deren Stimmen verfremden, ihnen Perücken aufsetzen oder zu digitalen Tricks greifen, damit sie nicht wiedererkannt werden. Whistleblower, die von unhaltbaren Zuständen berichten, fühlen sich wie Spione, wie Verräter. Manche von ihnen haben ja versucht, innerhalb ihrer Institution Kritik loszuwerden – vergeblich. Sie quälen sich im Gespräch mit dem Gefühl, Kollegenschelte zu betreiben. Sich auf Kosten anderer zu profilieren.
    Auch in diesem Buch wollen einige Gesprächspartner nicht unter ihrem Klarnamen auftreten. Selbstverständlich komme ich den Wünschen nach, aber ich frage mich inzwischen, wo wir eigentlich leben. Wie kann es sein, dass ein Arzt gemobbt wird, eine Pflegekraft den Job verlieren kann, Kritiker als »Nestbeschmutzer« abqualifiziert werden, weil sie Defizite ansprechen, die die Gesellschaft erfahren muss? Ohne solche Enthüllungen würde sich nie etwas verbessern. Doch gerade im Gesundheitswesen gilt jemand, der an die

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