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Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)

Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)

Titel: Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonia Mikich
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Öffentlichkeit geht, schnell als Querulant. Es herrscht ein Schweigekartell, davon ist auch mein Gesprächspartner Dr. Paul Brandenburg überzeugt. Ich lernte ihn über … den Bildschirm kennen. In der ARD -Doku »Vorsicht Operation«, ausgestrahlt im Januar 2013, machte er keinen Hehl aus seinem Missmut über die eigenen Kollegen. Warum machen sie nicht den Mund auf? Warum so viel Rücksicht auf Chefs? Wie kommt der Korpsgeist unter Chirurgen zustande? Er lässt nicht gelten, dass die Zustände an deutschen Krankenhäusern ausschließlich mit dem wirtschaftlichen Druck auf die Akteure zu erklären sind. Aus seiner Sicht machen viele Kollegen die Misere mit, weil der eigene Aufstieg nur durch Anpassung möglich ist. Schweigen und wegsehen – Teil der DNA eines deutschen Chirurgen? Der Nachwuchs erlebe die Ausbildung als Unterwerfungsprozess. Brandenburg hat gewiss keine Scheu vor Polemik und hat selbst erlebt, dass er deswegen als Versager und Querulant abqualifiziert wurde. Und irgendwie stimme das: »Ich habe ja versagt, ich war nicht imstande, so mitzumachen, wie es üblich ist.« Als der angehende Chirurg merkte, dass er sich zu sehr verbiegen musste, zog er die Reißleine. Er stieg aus seinem Traumberuf aus und wurde Honorararzt. Nun bekommt er das Krankenhausgeschehen vom Notfallwagen aus mit. Und kämpft mit seinen Auftritten für mehr Zivilcourage im weißen Kittel.
    Selbstverleugnung brauchen wir nicht, um gute Ärzte zu sein
Protokoll eines Aufbegehrens
    Ich habe in Berlin studiert und an der Charité mit meiner Forschungsarbeit angefangen. Die Doktorarbeit ist ja eine Art Weichenstellung für die spätere Kliniktätigkeit. In der Regel ist das ein Pro-forma-Akt, damit man den Titel auf die Visitenkarte drucken kann. Wenn man an der Uni bleiben will, muss man schon mehr reinhauen. Eine Art Meisterprüfung. Ich fing also drei Jahre vor dem Studienabschluss mit den Arbeiten für meine Promotion an, in der Transplantationschirurgie. Ich bin etwas reingerutscht und geriet in eine sehr gute Arbeitsgruppe, in Fachkreisen hoch angesehen.
    Als Student ist man völlig außerhalb dieses Establishments, dieses Systems und wird von den Leuten an der Klinik noch nicht einmal wahrgenommen und gegrüßt. Wenn man auf den Fluren steht, laufen diese Leute regelrecht durch einen hindurch. Man lernt sehr schnell: »Du bist hier niemand. Fang mal an zu dienen, fang mal an zu kriechen. Und dann sagen wir vielleicht guten Tag.« Ich hab das vier Jahre mitgemacht, dann war meine Laborzeit um und die Doktorarbeit fertig. Das wird entsprechend honoriert, man darf Vorträge halten und auf den Chirurgenkongressen auftreten. Der Titel dient dem ärztlichen Narzissmus. Ärzte sind unglaubliche Narzissten, und die allermeisten existieren in der Chirurgie. Ich muss zugeben: Diese Selbststilisierung hat auch bei mir gewirkt. Es ist schön dazuzugehören, ich habe mich gefreut und gerne mitgemacht. Stutzig wurde ich, als ich zunehmend im klinischen Bereich tätig war. Dieses Gebaren, diese Egomanie! Der Höherrangige hat immer recht, fachlich und menschlich! Am Anfang konnte ich darüber lächeln, bis ich merkte, dass diese Haltung normal war. Im Umgang mit Patienten, mit Schwestern, untereinander. Es geht weder um Geld noch um Patienten, sondern um die Karriereverwirklichung der Beteiligten. Da glauben viele tatsächlich, sie seien die Krone der Schöpfung.
    Ob die gesellschaftliche Wertschätzung dieses Bild hervorgebracht hat? Ich bin kein Freund der Soziologie, und immer wenn ich höre, »die Gesellschaft« sei für etwas zuständig, werde ich grundsätzlich skeptisch. Ich verlange von jedem halbwegs vernünftigen Menschen, und gerade von Akademikern, so viel Distanz, dass er seine eigenen Ziele und sein eigenes Rollenbild kritisch hinterfragt.
    Inzwischen bin ich überzeugt: Man wird nicht als Arzt zum Egomanen, sondern man steigt in diesen Beruf, weil man diese Veranlagung hat. Das sollten sich die Betroffenen auch offen eingestehen. Ich zitiere gern den bösen Satz: »Wie begeht ein Chirurg Selbstmord? Indem er sich von seinem Ego auf sein Niveau stürzt.« Es gibt da nette Studien: Chirurgen tragen überdurchschnittlich gern Taucheruhren, machen Risikosportarten und fahren Motorrad. Das kann kein Zufall sein und passt zum Selbstbild des einsamen Helden. Es ist ja auch nicht schlimm. Angesichts der mäßigen Bezahlung ist es in Ordnung, wenn jemand auf diese Art Benefit für sich herauszieht. Das ähnelt doch der Eitelkeit von

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