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Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)

Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)

Titel: Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonia Mikich
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Ärztekommissionen, Versicherern, Gerichten geben hierüber Auskunft. Fehler im Krankenhaus passieren auf allen Ebenen. Krankgeschwitzte Bettwäsche, die nicht gewechselt wird, weil nach Feiertagen die Reinigungskapazitäten der Wäscherei nicht ausreichen. Operationen, die verschoben werden, da ein Ersatzteil für die Reparatur am OP -Tisch nicht vorhanden ist. Wartezeiten von drei Stunden in der Notaufnahme, bis das Schmerzmittel Erleichterung beim Hexenschuss verschafft, weil dort die Mitarbeiter um das Leben eines Herzinfarkt-Patienten kämpfen. Toiletten, die zwei Tage nicht gereinigt werden, da die Reinigungskraft erkrankt ist. Vielleicht keine schlimmen Fehler, aber Dinge, die täglich passieren und die Patienten besser verstehen, wenn man sie erklärt. Gute Kommunikation macht Fehler nicht besser, aber man kann besser mit der Situation umgehen. Niemand macht mutwillig einen Fehler. Wie Fehler juristisch gewertet werden, ist ein anderes Thema.
    Wie gehen Menschen mit Fehlern um? Je höher jemand in der Hierarchie steht, desto mehr Druck lastet auf ihm, desto weniger Freunde hat er und desto weniger Möglichkeiten, mit anderen über Fehler zu sprechen. Das ist ein nicht zu vernachlässigender emotionaler Druck. Ein Chef wird kaum offen über seine Fehler sprechen, er macht sich ja angreifbar. Er wird immer versuchen, einen Fehler anders auszudrücken. Und das ist ein individuelles, aber auch ein systemisches Problem.
    Wir treffen uns wöchentlich zu Fallkonferenzen, in denen kleinere und größere Fehler oder Fastfehler besprochen werden, um zu sensibilisieren. Aber ob dies reicht? Fehler entstehen häufig durch eine Verkettung von Umständen. Vor einer Operation führen wir einen Piloten-ähnlichen Check durch. Hier werden vor dem Schnitt alle relevanten Dinge mit Hilfe einer Checkliste abgefragt. »Ist das der richtige Patient? Was hat er für eine Diagnose, was soll operiert werden, welche Seite soll operiert werden, liegen alle für die Operation erforderlichen Befunde vor, welche Vorerkrankungen hat der Patient? Gibt es OP -relevante Allergien oder Unverträglichkeiten? Sind alle erforderlichen Operationsinstrumente vorhanden? Welche Besonderheiten gibt es bei dieser Operation?« Diese Checkliste abzufragen, dauert wertvolle fünf Minuten. Unverzichtbare fünf Minuten. Auf diese Art habe ich bei einer Patientin erfahren, dass eine Nickelallergie vorliegt, die mir vorher nicht bekannt war. Ich habe die Operation nicht durchgeführt, da entsprechende nickelfreie Implantate erst bestellt werden mussten. Natürlich war mir das unangenehm gegenüber der Frau, die wieder auf die Station gebracht wurde und der ich den Grund erklären musste. Es stellte sich bei der Fallkonferenz heraus, dass die Patientin vor der Operation angegeben hatte, keine Metallallergien zu haben. Zur stationären Aufnahme brachte sie dann einen Allergiepass mit, der beim Anästhesisten abgegeben wurde. Ohne die Checklistenabfrage vor der Operation hätte ich nichts von der Allergie erfahren, und es hätte zu einer Implantat-Lockerung kommen können. Mit negativen Konsequenzen für die Patientin.
    Natürlich war die Patientin unglücklich, wieder auf die Station gekommen zu sein. OP erst in zwei Tagen. Noch mal warten, die Aufregung. Aber sie läuft nun seit zwei Jahren wieder mit ihrem neuen Knie herum und ist beschwerdefrei. Ein Fehler war uns unterlaufen, aber ein folgenschwererer wurde doch vermieden. Eine andere Situation: Während einer Prothesenimplantation entstand an der Hüfte ein Bruch. Wir mussten nicht nur die Hüfte ersetzen, sondern auch den Bruch stabilisieren. Dem Patienten ging es nach der OP gut, keine Probleme. Ich habe dem Patienten nach der Operation trotzdem von dem Bruch erzählt, auch wenn er es vielleicht nie bemerkt hätte. Jede medizinische Behandlung hat – wie jedes Medikament – Risiken und Nebenwirkungen. Keiner ist glücklich, wenn eine Behandlung zu Komplikationen führt, und wie Patienten auf Komplikationen reagieren, kann sehr unterschiedlich sein. Wesentlich ist aber, sich ausreichend Zeit zu nehmen, die Situation und ihre Folgen offen und verständlich zu besprechen. Als Arzt behandele ich eben nicht nur die Erkrankung, sondern den Patienten. Je komplexer Erkrankungen oder Begleitumstände, desto mehr Zeit ist für die Beratung erforderlich.
    Statistiken sagen aber, dass ein Patient seinen behandelnden Arzt im Krankenhaus nur fünf Minuten pro Tag sieht und nach 20 Sekunden das erste Mal vom Arzt

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