Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)
sein. Und das ist vor allem nicht mehr patientengerecht!
Manchmal koten sich Patienten ein, das ist nicht schön, passiert hin und wieder aber. Am Anfang im Beruf habe ich mich oft geekelt, aber inzwischen geht es. Es sind alles natürliche, organische Stoffe. Handschuhe an, Mundschutz – und durch. Man lernt es.
Ich komme aber manchmal in ein Zimmer, da ist eine Bombe explodiert. Vergangene Nacht zum Beispiel: Ein verwirrter Mann dement, ist aufgestanden, hat am Katheter und an der Infusion gezogen, überall war Blut. Am Nachtschrank, auf dem Boden, an den Wänden; Toilette, Waschbecken, Handtücher, Duschvorhang. Alles war voller Blut. Das passiert gelegentlich auch mit Stuhlgang. Da weiß ich erst einmal gar nicht, wo anfangen. Pures Chaos. Ich versuche, Hilfe zu holen von irgendwoher, aber das klappt nicht immer. Auf der Nachbarstation ist auch nur eine Pflegekraft, und die Reinigungskraft ist im OP oder in der Entbindungsabteilung, hat keine Zeit. Die Ärzte sind telefonisch erreichbar, können aber nicht immer, wie wir es uns wünschen.
Wir haben bei uns im Krankenhaus neun internistische Abteilungen, darunter eine Ambulanz und eine Intensivstation. Wenn die Ambulanz voll ist, dort sind abends manchmal zwanzig Patienten, dann ist ein Assistenzarzt damit oft überfordert. Ein zweiter Arzt ist auf der Intensivstation oder bei irgendeinem Notfall im Haus. In solchen Momenten stehen die Krankenschwestern und die Krankenpfleger in den peripheren Stationen einfach auf dem Schlauch. Die müssen gucken, wie sie allein zurechtkommen. Und dann passieren Sachen, die nicht ganz katholisch sind, die nicht in Ordnung sind. Patienten leiden, weil der Arzt keine Zeit hat zu kommen. So habe ich öfters zu Betäubungsmitteln gegriffen, obwohl ich es eigentlich nicht darf. Das ist keine Schuldzuweisung an den Doktor, nein. Er kommt einfach nicht dazu, sich den Patienten anzuschauen.
Wir sind in einer Branche, wo wir mit Menschen arbeiten. Und da gibt es Phasen mit sehr viel Einsatz, und Phasen, wo du wenig zu tun hast. In der Medizin müsste es eigentlich so sein, dass das Personal gerade für die Spitzenzeiten immer ausreicht. Dreiviertel der Zeit kann ich die Arbeit gut bewältigen, aber ein Viertel gar nicht. Das ist das Problem in der Medizin: Man kann nicht planen, man muss immer ausreichend Personal vorhalten, um alles menschlich gut durchführen zu können – und das ist teuer. Wir alle müssen uns ernsthaft Gedanken machen, was uns Gesundheit, was uns Pflege wert ist. Es ist genug Geld im Gesundheitssystem da, nur falsch verteilt. Es wird im System zu viel Geld verschwendet.
Pfleger 2: Die Fehler nehmen zu. Da kommt ein Patient auf die Intensivstation, und es heißt, der Patient habe ein akutes Lungenödem. Die Therapie wurde erst einmal völlig falsch angefangen. Wir Pfleger mussten der Ärztin sagen, dass der Mann eine Alkoholvergiftung hatte. Sie wehrte zunächst ab, gab uns später Recht. Mittlerweile ist es doch so, dass junge Ärzte auf die Pflege zurückgreifen und sich dort Rat holen. Besonders wenn sie frisch von der Uni kommen. Das Problem: Sie werden nicht erst einmal qualifiziert eingearbeitet, sondern sofort reingeworfen und sind dann überfordert.
Pfleger 1: Sie kommen frisch von der Uni und sind in der Ambulanz zu wenig erfahren; sogar auf der Intensivstation merkt man, dass manche Ärzte wenig Erfahrung haben. Hinzu kommt das Hierarchie-Denken. Die Jungen trauen sich abends noch nicht einmal, den Oberarzt, der Dienst hat, anzurufen. Viele geben das zu. Manchmal kommt der Oberarzt nicht, obwohl es unserer Meinung nach nötig wäre, in der Nacht zu endoskopieren. Kommt vor, wenn auch nicht dauernd. Die jungen Ärzte sind dann echt aufgeschmissen. Fehler in der Pflege? Die geschehen, wenn Patienten innerhalb der Station verlegt werden. Vielleicht muss einer isoliert werden, oder die Medikamentenanordnungen ändern sich. Die vorige Pflegeschicht konnte nicht in Ruhe die Pläne ergänzen oder umändern, weil zu viel zu tun war. Abends erkenne ich nicht sofort, dass die Pläne nicht übereinstimmen. Dadurch habe ich schon mal falsche Antibiosen angehängt oder falsche Medikamente verabreicht.
Vor zwei Wochen arbeiteten morgens auf einer 36-Betten-Station nur eine examinierte Pflegekraft, zwei Auszubildende im zweiten Kurs und ein Praktikant aus dem Ausland, der kaum Deutsch sprach. Ein Kollege hatte sich morgens krank gemeldet. Dort lag eine Patientin, die parenteral ernährt wurde. Dazu gibt es
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