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Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)

Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)

Titel: Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonia Mikich
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oben kommuniziert. Es ändert sich nichts.« Sogar von der Pflegedienstleitung kriegen wir die Antwort: »Wir wissen, wie es ist. Wir wissen, dass es teilweise nicht mehr zu schaffen ist. Macht, was ihr könnt, und mehr können wir nicht machen.« Augen zu und durch. Ich verstehe durchaus die Pflegedienstleitung, sie kann nicht einfach Pflegepersonal herzaubern. Aus finanziellen Gründen nicht, und sie sagen das auch geraderaus. Personal ist auf dem Markt nicht zu finden. Das kann ich alles nachvollziehen. Aber dieses Problem kenne ich schon seit 25 Jahren, und grundsätzlich ändert sich nichts daran.
    Die Bevölkerung wird, Gott sei Dank, älter. Aber die Menschen sind in ihrem Leben auch länger krank, länger chronisch krank, und deswegen wird der Pflegebedarf zunehmen. Die Zahl der dementen Patienten wird zunehmen. Das merken wir jetzt schon. Im Moment habe ich zwei Sterbende auf Station, ich habe vier Leute, die schwer dement sind. Sie können aber noch aufstehen und müssen bei allem, was sie tun und machen, begleitet werden. Und ich habe im Moment zwei Schwerstpflegefälle, die immer wieder gelagert werden müssen. Das klappt alles, wenn ich abends keine Aufnahmen habe. Aber wenn fünf, sechs Aufnahmen zusätzlich kommen, bewältige ich meine Arbeit menschlich und professionell nicht so gut, wie ich möchte.
    Pfleger 2: Wir sind beide in der Gewerkschaft. Im Haus existiert eine Mitarbeitervertretung. Ich war jahrelang dort Mitglied, aber irgendwann habe ich mich nicht mehr aufstellen lassen, weil wir nur abnicken sollten. Die Geschäftsleitung gab etwas vor, wir sollten zustimmen. Verbesserungen erreichen kann man eigentlich gar nicht.
    Pfleger 1: Etwas muss ich unbedingt noch erwähnen. Auf der Intensivstation sind in den letzten zwei Jahren immer wieder wochenweise zwei Betten gesperrt worden, weil nicht genügend Personal für die Versorgung da war. Seit zwei Jahren geht das so, das heißt aber nicht, dass die Betten nicht belegt werden. Zunächst meldet sich das Krankenhaus bei der Feuerwehr ab, das bedeutet, sie bringen dann keine neuen Notfälle. Aber wenn dann im Haus selber jemand sich akut verschlechtert, wird er trotzdem dahin gelegt. Oder auch wenn die Feuerwehr einfach nicht weiß, wohin, dann kommen die trotzdem. Das passiert immer wieder.
    Pfleger 2: Auf dem Papier arbeitet man auf der Intensivstation nachts zu dritt. Ein Viertel der Nächte ist man aber nur zu zweit. Manchmal haben wir acht Patienten zu versorgen, davon sechs künstlich Beatmete und zwei Patienten, die an der 24-Stunden-Dialyse sind. In der Nacht kommt es zu drei Reas. Also drei Patienten, die reanimiert werden müssen, weil es denen so schlecht geht. Dann kann ich die Versorgung einfach nicht mehr gewährleisten.
    Diese Situation taucht immer wieder auf. Und es hat schon heftigen Streit bei uns im Haus gegeben, weil sich Schwestern dagegen gewehrt haben. Nur weil sie den Mund aufgemacht und das nicht mehr toleriert haben, wurde ihnen mit Versetzung gedroht. Eine Kollegin hat dann später eine Abmahnung bekommen, weil sie sich geweigert hatte, noch mehr Betten zu belegen. Aber das interessierte niemanden, denn der sogenannte Oberarzt hatte sich über sie beschwert.
    Pfleger 1: Oft fehlt eine Linie bei der Therapie. Wir hatten letztens einen Patienten, der war todkrank. Er hatte eine schwere Lebererkrankung, die Leber war kurz vor dem Komplettversagen. Der Mann war quasi austherapiert, und es wurde beschlossen, nichts mehr zu machen. Das heißt, der Patient wird nicht mehr intubiert, kommt nicht mehr auf die Intensivstation, wird nicht mehr mit Blutkonserven versehen, und der Zustand verschlechtert sich logischerweise. Auf einmal lag er trotzdem wieder auf der Intensiv und bekam Blutkonserven. Da wurde die Therapie von einem Doktor neu gestartet. Ich frage mich, ethisch gesehen, was passiert hier eigentlich? Verlängern sie das Leben? Oder das Sterben? Das ist für mich ein ganz großer Unterschied. Das Verlängern des Sterbens ist Quälerei. Man hat dem Patienten wieder Blutkonserven gegeben, hat das Leben eingepumpt. Die Qualität seiner Existenz stand bei der Entscheidung völlig im Hintergrund. Er ist eine Woche später tatsächlich gestorben.
    Wir fragen uns oft: »Was machen wir hier eigentlich?« Deswegen hat man vor Jahren bei uns die Ethikkommission eingeführt, um die Teams von Pflegern und Ärzten zu beraten: »Wie sieht es aus? Was wird noch gemacht? Wo ist die Grenze?« Aber diese Ethikkommission wird viel zu wenig

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