Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)
36-Betten-Station alles in eineinhalb bis zwei Stunden. Manchmal dauert es länger, je nach Zustand der Patienten. Beim Rundgang wird auch gelagert und gesäubert. Nahrung, Infusionen, Perfusoren, Drainagen, Katheter, Verbände – alles muss kontrolliert werden. In der Zwischenzeit kommen vielleicht neue Patienten aus der Ambulanz hinzu. Dann müssen alle anderen Patienten warten, denn ich bin nachts alleine!
Manchen Patienten geht es schlecht, dann muss ich den Doktor hinzuziehen. Manchmal müssen Patienten sogar aus dem Zimmer geholt und auf den Flur verlegt werden, zur Beobachtung. Etwa wenn eine Narkose sehr spät am Nachmittag gemacht wurde oder der Patient unruhig und verwirrt ist. Ich habe sie dann besser im Blick, weil man ja auf dem Flur immer wieder vorbeigeht. Es kommt auch zu Notfällen, jemand blutet und muss in die Endoskopie, oder der Herzkreislauf bricht zusammen. Dann muss ich sofort reagieren. Aber dann steht alles andere still. Wenn man alleine ist, müssen alle anderen Patienten warten. Und ich helfe auch manchmal auf der Nachbarstation aus, wenn dort die Bude brennt.
Und hier liegt das Kernproblem, es dreht sich immer um die Personalnot. Das gilt auch für die Tagesschicht! Was die eine Schicht nicht geschafft hat, versucht die nächste nachzuholen. In der Regel ist eine 36-Betten-Station am Nachmittag immer mit drei Examinierten zu versorgen. Diese Woche traf das jedoch kein einziges Mal zu. Jeden Tag wurde jemand abgezogen oder fiel wegen Krankheit aus. Wenn fünf Neuaufnahmen hinzukommen, was nicht selten ist, sitzt im Dienstzimmer ein Examinierter und ist mit den Akten voll beschäftigt. Der andere Kollege muss die ganze Station quasi alleine versorgen, mit einem oder zwei Auszubildenden als Hilfen. Die aber auch immer wieder begleitet und kontrolliert werden müssten. Dazu kommt man oft nicht.
Die Versorgung ist schlecht, und der Stress setzt sich im Nachtdienst fort. Immer wieder kommt ja auch ein Doktor dazwischen und will irgendetwas, Blutabnahmen, neue Anordnungen und, und, und. Wir können uns nicht dreiteilen oder hüpfen und springen. Irgendwo hapert es immer. Die Übergaben sind frustrierend, weil so viel liegengeblieben ist, was nachgearbeitet oder was noch nachgefragt werden muss beim Doktor. Die man aber oft schlecht erreicht, weil sie auch überfordert sind. Ein Rattenschwanz.
Ich habe auf einer 36-Betten-Station manchmal vier bis fünf Patienten, die isoliert sind. Sie liegen aufgrund einer ansteckenden Krankheit alleine im Zimmer, und ich muss mich jedes Mal umziehen. Komplett. Kittel, Haube, Handschuhe, Mundschutz. Bei fünf Patienten ist das wirklich viel, wenn man nachts alleine ist. Wenn die anderen Patienten viel Pflege brauchen, muss man manchmal so schnell handeln, tun, machen, dass es mit der Hygiene ein bisschen danebengeht. Und dann muss man sich nicht wundern, dass Krankenhausinfektionen auftreten. Ich habe mich selbst zwei Mal angesteckt mit dem Keim. Auch das hängt mit Stress zusammen, mit Zeitmangel …
Pfleger 2: Wir haben kaum Zeit, eine ordnungsgemäße Händedesinfektion durchzuführen …
Pfleger 1: Außerdem finden wir es ineffizient, dass examinierte Pfleger oder Schwestern die Hälfte ihrer Zeit mit Akten, Tabellen usw. im Dienstzimmer verbringen. Wenn ich zum Beispiel ein Betäubungsmittel gebe, muss ich das vier Mal in der Kurve eintragen. Die Kurve ist die ärztliche Akte. Daneben gibt es noch die Pflegeakte, speziell für Pflegekräfte. Im Pflegebericht muss ich schreiben, was ich genau weswegen gemacht habe. Dann gibt es seit Kurzem ein Extraformular für die Akte, separat für Betäubungsmittel – das verlangt die Krankenkasse. Und noch was: Ich muss das Mittel austragen in einer Kartei, die nur Betäubungsmittel auflistet, um den Bestand der Apotheke immer korrekt nachweisen zu können. Ein Medikament, das ich viermal eintragen muss. Und so geht es bei vielen Sachen. Wir tragen ein, tragen ein, tragen ein. Die eigentliche Arbeit leidet darunter. Wenn viel zu tun ist, wenn wir sechs bis acht pflegeintensive Patienten haben, einige isoliert sind und wir uns deswegen ständig umziehen müssen, oder wenn Patienten sich selbst verletzen, weil sie Kanülen herausziehen, oder wenn sie inkontinent sind, oder ihr Kreislauf instabil ist, oder, oder, oder. Wenn Verbände nässen, Ergebnisse mit dem Doktor nicht zu klären sind, weil der schlecht erreichbar ist, wenn das alles gleichzeitig passiert, dann ist es einfach schrecklich, nachts alleine zu
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