Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)
dem »Fall«, das Leben zwischen Bettpfannen und Infusionen spielt sich etwas anders ab.
Wenn ich nach der »Schwester« rief, war das eigentlich gestrig. Der Begriff ist ideologisch beladen, stammt aus der Zeit der christlichen Ordensschwestern. Aber manche Pflegekräfte wurden mir mit der Zeit so vertraut wie eine echte Schwester. M., die mir beim Waschen erzählte, dass sie irgendwann einen Pferdehof haben möchte. B., die mir die Scheu vor dem künstlichen Darmausgang nahm. Alle machten ihren Beruf gerne. Aber alle arbeiteten am Limit. Denn die Verwaltungen sparen besonders in diesem Bereich, stellen zu wenige Kräfte ein, kürzen fantasievoll an den Dienstplänen herum.
Auf den Namensschildern steht Gesundheits- und Krankenpfleger – eine staatlich geschützte Berufsbezeichnung seit 2004. Holprig klingt das. Und deutet eine weitere Ausdehnung des Berufsbildes an, als ob nicht jetzt schon 1001 Ansprüche tagtäglich auf sie einprasseln.
Pflegekräftemangel – oft thematisiert, aber nichts ändert sich. Fachleute wie Professor Dr. Michael Isfort von der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen fordern zum Beispiel eine gesetzlich fixierte Personalquote auf Intensivstationen. Gerade dort steigt die Zahl von Patienten, die beatmet werden müssen. Eine Eins-zu-Eins-Betreuung würde Risiken mindern. Warum ist das nicht ein großes gesellschaftspolitisches Thema?
Davon kann noch lange keine Rede sein, wie ich an einem intensiven Nachmittag mit zwei Pflegern erfahre. Ihr großer Wunsch: mehr Transparenz im Krankenhaussystem. Schwachstellen beim Namen nennen, Standards auch umsetzen und, vor allem, nicht angekündigte, regelmäßige Kontrollen durch neutrale Fachleute einführen. Beide engagieren sich in der Gewerkschaft, damit der Druck zur Veränderung wächst – irgendwann. Auch sie machen ihren Job wirklich gerne. Ich glaube ihnen sofort, dass es ihnen egal ist, ob sie zehn Stunden in der Nacht durcharbeiten müssen oder nicht. Über die Bezahlung klagen sie nicht: »Wir sind, auch durch die Nachtzulage, zufrieden.«
Keine Querulanten, keine Störenfriede, sondern Profis, die im Alltag schwere Mängel erleben. Mängel, die behebbar sind aus ihrer Sicht: »Unser Gesundheitssystem ist insgesamt nicht schlecht, aber die Menge der Aufgaben macht uns zu schaffen. Dann entstehen Fehler. Dann wird man dem kranken Menschen, der sich uns ausliefert, nicht mehr gerecht.«
Ausliefern – ich bleibe an diesem Wort hängen. Es stimmt ja, der Patient gibt seine Selbstbestimmung ab, kann Körper und Seele nicht mehr selbst beschützen. Wie gut, eine Art »bodyguard« anzutreffen.
Irgendwo hapert es immer
Protokoll eines Notstands
Pfleger 1: Ich bin examinierter Krankenpfleger und 25 Jahre im Beruf, davon 20 Jahre hier in einem konfessionellen Krankenhaus. Die ersten zwei Jahre habe ich im Tagesdienst gearbeitet und bin dann in den Nachtdienst gewechselt. Jetzt aktuell seit fünf Jahren auf einer internistischen Station mit Schwerpunkt Gastroenterologie, Bauchspeicheldrüse, Gallengänge, Lebererkrankungen.
Pfleger 2: Ich bin seit 27 Jahren in diesem Beruf, bin auf einer internistischen Intensivstation und seit 17 Jahren permanent im Nachtdienst.
Pfleger 1: Die Motivation kam durch ein Schulpraktikum. Eine Klassenlehrerin organisierte das. Wir konnten alle ausprobieren, was wir vielleicht mal werden wollten. Ich wollte immer einen sozialen Beruf ausüben. Ich bin nicht jemand, der kommerziell eingestellt ist oder in die Privatwirtschaft will. Ich wollte immer einen sozialen Beruf ausüben. Und ich habe die Entscheidung nie bedauert, nie bereut.
Der Nachtdienst fängt bei uns um Viertel nach acht an und geht bis morgens Viertel nach sechs. Die Dienste beginnen immer mit einer Übergabe. Dabei werden die Patienten durchgesprochen: Was aktuell erledigt werden muss, worauf geachtet werden muss, der Allgemeinzustand, die Diagnosen. Für den ersten Rundgang, den wichtigsten Rundgang am Abend, bereitet man Infusionen vor. Das sind letzte Antibiotika vom Tag, Schmerzmittel oder auch Bedarfsmedikation. Manchmal zehn bis 15 Kurzinfusionen, die man beim Rundgang verabreichen muss. Danach macht man seinen Wagen fertig, mit Abendmedikamenten, mit der Blutdruckmanschette, Temperatur- und Blutdruckmessgeräten. Und dann geht es los. Ich gucke mir jeden Patienten kurz an, weiß, worauf ich achten muss, und gebe ihm, was verordnet ist. Ich gehe von Zimmer zu Zimmer, und wenn nichts dazwischenkommt, schafft man auf einer
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