Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)
zusammengerufen und funktioniert eigentlich nicht. Sie müsste bei viel, viel mehr Patienten aktiv werden.
Pfleger 2: Ich kenne auch Glücksmomente, das Gefühl, etwas richtig zu machen. Ein Patient, der mit einem Lungenödem kam und mit einer nicht-invasiven Beatmungsmaske geatmet hat. Die Ärzte standen drum herum und wollten eigentlich schon intubieren: Ich schlug vor, ihn abzuschirmen und noch eine halbe Stunde abzuwarten. Letztendlich war die Notlage nach zwei Stunden vorbei, der Patient fragte dann hinterher, warum die Ärzte nicht darauf gekommen seien? Und schon am nächsten Tag verließ er die Intensivstation.
Pfleger 1: Man kriegt immer wieder Bestätigungen, auch schriftlich, von Patienten, die sich gut aufgehoben fühlen. Sie sind einfach dankbar, dass man sich Zeit genommen und auch einmal etwas erklärt hat. Was für uns banal ist, ist für Kranke komplex und unverständlich. Solche Bestätigung kriegt man wirklich oft. Das ist schön.
Was ich mir wünschen würde? Viel mehr Kontrolle. Unangekündigte und auch anonyme Kontrolle, die man vielleicht nicht merkt. Dass jemand kommt, der Ahnung vom Fach hat und das Ganze einfach einmal beobachtet. Das würde ich mir wünschen in dieser Branche. Wir spielen letztendlich mit der Gesundheit. Jede Pommesbude wird doch unerwartet regelmäßig kontrolliert.
Pfleger 2: Die Gesundheitsbehörden kommen durchaus, aber sie müssen sich vorher anmelden. Dann wird eine Woche vorher geputzt. Ja, natürlich. Ein Team geht durch das ganze Haus und räumt auf. Es gibt ein Rundschreiben: Nichts darf auf den Fluren stehen, alles korrekt machen. Und vor allem ausreichend Personal an dem Tag!
Pfleger 1: Die Station wird von vornherein nicht überbelegt. Es wird dafür gesorgt, dass die Station dann relativ menschlich aussieht – in jeder Hinsicht.
Hinzu kommt die Brandschutzverordnung, dann geht die Feuerwehr durch. Aber eben mit Voranmeldung. Wir werden ja geschult für Brandschutz und reklamieren jedes Mal: »Kommt doch mal unangemeldet.«
Ich zeige Ihnen gleich mal Fotos, die ich heute Nacht gemacht habe. Und Briefe an die Chefin, wo ich ihr kurz die Zustände auf Station beschrieben habe. Immer wieder die Antwort: »Ich kümmere mich darum. Wir wissen es.« Aber es tut sich gar nichts. Ich habe den Eindruck, sie will nicht, oder sie kann nicht. Es tut sich einfach nichts.
Ich habe der Pflegedienstleitung öfters gesagt: »Machen Sie mal eine Woche Nachtdienst mit mir, damit wir wissen, worüber wir reden.« Das ist alles so schwer zu beschreiben. Wissen Sie, die einzelnen Situationen und Aufgaben sind zu bewältigen. Es ist die Summe an Arbeit, die Vielfalt an Handlungen, die einen plötzlich überrollen.
Die Freiwilligen
Erfahrungsberichte eines Zivis und eines Bufdis
Julian 31 bekommt einen weißen Wäschestapel in die Hand gedrückt. Drei Hosen, drei Kittel, auf dem Revers sein Name und die Beschreibung »Bundesfreiwilligendienst«. Oben drauf liegt ein schwarzer Metallchip, der aussieht wie ein MP3-Player. Der Pieper. Er würde sein Leben takten in den nächsten Monaten. Ein Sommertag im Jahr 2011.
Nachdem er sich umgezogen hatte, holt ihn eine hagere Gestalt im beigebraunen Kostüm ab und dirigiert ihn durch das große Foyer und eine Metallschleuse, über ein Treppenhaus, dessen Stufen sie scheinbar mühelos erklimmt, endlos wirkende Flure. Julian hat Schwierigkeiten, den raumgreifenden Schritten der Pflegedienstleiterin zu folgen. Während sie mit monotoner Stimme, begleitet von ausladenden Handbewegungen, mal nach links, mal nach rechts Begriffe wie »Röntgen«, »Notfallambulanz«, »Pädiatrie«, »Augenklinik«, »Strahlenabteilung« schleudert, würde Julian am liebsten wieder umkehren. Er fragt sich, ob es die richtige Entscheidung gewesen ist, hierher zu kommen. Gezwungen hatte ihn niemand.
Julian gehört zum ersten Jahrgang der Bufdis, der Bundesfreiwilligen. Er ist neunzehn und hat gerade sein Abitur hinter sich gebracht. Und weil er sich noch nicht sicher ist, ob die Ausbildung zum Krankenpfleger die richtige Berufswahl für ihn wäre, hat er sich entschlossen, erst mal ein freiwilliges Jahr einzulegen, um so einen besseren Einblick in diese Berufswelt zu erlangen.
Es ist erst einige Monate her, dass dem damaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg eingefallen war, die Wehrpflicht für überflüssig zu halten. Und kaum kürzer ist es her, dass man feststellen musste, dass der Zivildienst, der einst eingeführt worden war für
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