Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)
zeigte beim Lächeln. Warum es sinnvoll sein soll, die Wäsche erst anfahren zu lassen, erschließt sich Julian nicht.
Ein paar Monate später kommen dann Putzdienste und Hausmeister an die Reihe, doch hier wird nichts versteigert, nur Stellen werden abgebaut und die bekannten Reinigungskräfte ersetzt durch Menschen in roten Kitteln, die ständig wechseln und im Eiltempo über die Station huschen, so dass man sie nie länger zu Gesicht bekommt. Für jedes Zimmer bleiben nur ein paar Minuten. Kaum hat sich eine Zimmertür hinter der Putzkraft geschlossen, kommt sie auch schon wieder heraus. Julian sieht die Staubflocken in den Ecken liegen, die Kalkflecken auf den Armaturen, die getrockneten Rinnsale in den Duschen. Wie sollten sie auch verschwinden, wenn es kein Geld mehr für die Zeit gibt, sie zu entfernen?
Gespart werden muss an allen Ecken und Enden, das hat Julian schon mitbekommen. Dabei scheint es allerdings keine Rolle zu spielen, dass diese hauseigenen Versorgungsdienste auch eine Konstante im Krankenhausleben waren, die sowohl den Patienten als auch den Mitarbeitern Sicherheit gegeben haben. Es ist ein Unterschied, so berichten die Schwestern, ob ich jeden Tag dieselbe Putzfrau sehe, ob ich fragen kann, ob sie bei Bedarf mal ein bisschen früher oder später kommen kann, oder nach Bettzeug außer der Reihe, ob man fragen kann, ob jemand die Blut- oder die Urinflecken wegwischen kann, wenn ein Patient sich den Katheter herausgezogen hatte. Es ist ein Unterschied, ob im Krankenhaus Menschen arbeiten, die ich kenne, solche, die Verständnis dafür haben, dass hier Kranke wieder gesund gemacht werden sollen, oder ob das Krankenhaus versorgt wird von Zulieferern, denen die Empfänger ihrer Dienste weitgehend egal sind. Und es ist ein Unterschied, wenn das Verständnis, der Heilung von Kranken zu dienen, sich nur noch bei den Ärzten und beim Pflegepersonal ansiedelt und die übrige Welt davon ausgenommen bleibt. Denn wenn gerade diesen Ärzten und Pflegern auch noch die Zeit genommen wird, gemäß diesem Verständnis zu handeln, wird auch das Verständnis selbst bald nicht mehr vorkommen, findet Julian.
Dienst hat er auch auf der Privatstation. Sie war gerade umgebaut worden und der Stolz der Klinikleitung. Und sie war eine der größten Abteilungen im Haus geworden. Dies lag einerseits daran, dass sich hier unterschiedliche Patiententypen trafen, während man die gesetzlich Versicherten je nach Krankheitsbild auf die verschiedenen Stationen verteilte, zum anderen daran, dass die Zahl der Privatversicherten in den vergangenen Jahren stark zugenommen hatte. Und es lag daran, dass die Zimmer schlicht größer waren. Denn in der Regel handelte es sich um geräumige Einzelzimmer, und auch die Bäder waren deutlich größer als auf den übrigen Stationen. Ausgestattet waren die Zimmer neben dem obligatorischen Krankenbett und Nachtkästchen auch mit Sideboard, einem Lesesessel, einem Tisch mit Stühlen, einem Bücherregal und selbstverständlich mit Flachbildfernseher und Entertainment-Anlage.
Julian liebt es nicht, Patienten von dieser Station zu befördern. Die Ausstattung der Räume steigt mit der Anspruchshaltung der Patienten hier und umgekehrt, findet er. Einen Punkt, an dem sich das zur Zufriedenheit einpendelt, kann er sich nicht vorstellen. Die Anspruchshaltung bekommt er regelmäßig zu spüren, wenn er ein paar Minuten zu spät kommt, aber auch, wenn Patienten beim Hinüberhieven in den Rollstuhl ungeduldig oder missmutig werden. Was das Medizinische anbelangt, liegen die Dinge allerdings anders. Julian hat den starken Verdacht, dass die Privatpatienten sich hier vom Budenzauber einwickeln lassen. Und der besteht darin, dass bei der täglichen Visite eine ganze Abordnung hinter dem Chefarzt, der sich noch auf dem Flur über den Patienten kundig gemacht und über das Krankheitsbild von seinen Assistenzärzten ins rechte Bild hat setzen lassen, ins Patientenzimmer stürmt. Immer wieder kann Julian schmunzelnd solche Szenen beobachten.
In der medizinischen Behandlung kann er allerdings keinen Unterschied feststellen. Was den wahren Unterschied ausmacht, ist Zeit. Während man auf der Inneren oder der Chirurgischen Station kaum die Muße hat, den Patienten über das Ergebnis seiner Operation aufzuklären, sitzt im Privatzimmer nicht selten der Chef- oder Oberarzt eine Stunde bettzugewandt im Lesesessel und antwortet geduldig auf alle Fragen. Manchmal, wenn Arzt und Patient es erlauben, lässt man den
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