Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)
Deutschlands führte, anzulehnen, sie vergleichend zu gebrauchen?
Eine Parallele liegt auf der Hand: Es versammeln sich Menschen aus dem Volk, die eigentlich keine Macht haben. Sie stellen sich betend gegen die Politik, die sich über ihre Köpfe hinweg für den Verkauf ihrer Universitätsklinik entschieden hat. Sie demonstrieren friedlich und haben als Werkzeug hauptsächlich ihre große Präsenz und den Willen, diese durchzuhalten. Zum neunten Mal findet heute das Montagsgebet statt, und bisher war die Kirche stets bis auf den letzten Platz gefüllt.
Der Pfarrer der Gemeinde und der Dekan sprechen begrüßende Worte, dann werden die vorgestellt, die heute diskutieren sollen: der Marburger Oberbürgermeister Egon Vaupel, Klinikdirektor Matthias Rothmund, zwei Professoren und schließlich derjenige, auf den man in den vergangenen Wochen vergeblich gewartet hatte: Martin Menger. Das Vorstandsmitglied des Konzerns wurde zum 1. April vom privaten Krankenhausbetreiber Rhön als Geschäftsführer am Klinikum eingesetzt. Er soll sich erklären.
Zwei Söhne habe er, erklärt Menger, 52 sei er und um Verständnis und christliche Tradition bemüht. Das Wort des verstorbenen Bundespräsidenten Rau »versöhnen statt spalten« müsse auch hier gelten. Und um den Anwesenden den Wind aus den Segeln zu nehmen, benennt er die Vorwürfe an den Klinikkonzern gleich selbst: Der Mensch und der Patient stünden seit der Privatisierung nicht mehr im Mittelpunkt, stattdessen der Gewinn im Vordergrund, und die Versorgung habe sich verschlechtert. Hierzu kein Widerspruch aus dem Publikum.
Raunen gibt es erst, als Menger aus Denkschriften des ehemaligen EKD -Vorsitzenden Huber und seines aktuellen Amtsnachfolgers Schneider zitiert: »Man solle das Maß nicht aus dem Blick verlieren«, und »unternehmerisches Handeln sei durchaus positiv«, wenn es zu nachhaltigem und erfolgreichem Wirtschaften, gepaart mit sozialem Handeln, führe. »Nur mit Gewinn«, folgert Menger, sei eine Verbesserung der Leistung für Patienten auch am Universitätsklinikum zu erzielen. »Gewinn« ist das Wort, das er wieder und wieder benutzt. »Gewinn« ist das Wort, an dem sich alles aufheizt.
Mit auf dem Podium sitzt Professor Andreas Neubauer, ein schlanker, freundlicher Mann, Mitte 50, von überaus jugendlicher Art. Seinem bescheidenen Auftreten lässt sich nicht entnehmen, dass er Direktor der Marburger Klinik für Hämatologie, Onkologie und Immunologie ist und vielfach preisgekrönt. Neubauer lächelt während der Rede des Geschäftsführers. Dessen Argumentation hat Neubauer schon oft gehört, aber im Gegensatz zu ihm kennt Neubauer das Klinikum schon sehr lange.
Der Klotz am Bein
Rückblick: In der Auffahrt vor den weißen, auf einige Hektar Berggrund verteilten Bauklötzen des Uniklinikums Marburg sammeln sich etwa zweihundert Weißkittel und halten Plakate in die Höhe. »Keine Privatisierung« ist darauf zu lesen, »Freiheit für Forschung und Lehre«, »kein Ausverkauf von Bildung«. Wir schreiben das Jahr 2005. Unter den Beschäftigten sorgen die Beschlüsse der CDU-Landesregierung Hessens unter Roland Koch, das Uniklinikum in Marburg mit jenem in Gießen zu fusionieren und anschließend zu verkaufen, für Aufruhr. Jetzt sollen auch die Medien wachgerüttelt werden.
Es ist die Hochphase der Privatisierungswelle. Landauf, landab werden öffentliche und kommunale Krankenhäuser an private Krankenhausketten verkauft. Helios 61 , Rhön, Sana und Asklepios heißen die großen Player in Deutschland, und sie können gar nicht genug Krankenhäuser erwerben. Binnen weniger Jahre steigt ihr Marktanteil von 15 Prozent auf 25 Prozent und ihre Umsätze auf über fünf Milliarden Euro (2005). Ein Grund dafür ist, dass viele Krankenhäuser mit dem neu eingeführten Fallpauschalen-System Schwierigkeiten haben. Der Kostendruck ist enorm, und wo öffentliche Kliniken aufgrund eingerosteter Strukturen häufig Schwierigkeiten haben, ihr Abrechnungssystem umzustellen, haben private, zentral geführte Krankenhausketten schon das Muster in der Tasche. »Rationalisierung« heißt das Zauberwort. So lange, bis das Krankenhaus ökonomisch arbeitet, und noch darüber hinaus. Denn am Ende muss ein Gewinn her, um die Aktionäre zu erfreuen. Mit 10 bis 15 Prozent rechnet man bei den Klinikkonzernen, Krise hin oder her.
»Rationalisiert« wird in erster Linie beim Personal, denn viele andere Wege lässt das neue Fallpauschalen-System nicht zu. Danach bekommen die Kliniken
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