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Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)

Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)

Titel: Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonia Mikich
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von den Krankenkassen nicht mehr wie bisher Gelder pro Liegetag, sondern pro Diagnose und Fall, das heißt: Alles muss schneller gehen. Und billiger. Wäschereien, Putzdienste, manchmal auch die Küche werden in eigene Tochterunternehmen oder andere Betriebe ausgelagert, Wege innerhalb der Kliniken umstrukturiert, Abläufe beschleunigt. Auch in der Ärzteschaft und in der Pflege heißt es: so viel Personal wie gerade nötig. Der Patient soll möglichst schnell durch die Klinik geschleust werden, denn längere Aufenthalte werden von den Krankenkassen nicht mehr bezahlt. Viele Krankenhäuser trieb diese – im Kern durchaus sinnvolle – Umstrukturierung in eine wirtschaftliche Schieflage, und so schlug die Stunde der privaten Klinikkonzerne. Sie boten oftmals die einzige Alternative zur Schließung.
    Richtete sich der Hunger der privaten Krankenhausketten in den ersten Jahren vor allem auf kleinere, kommunale Häuser, geraten seit 2005 zunehmend auch größere Kliniken in ihren Fokus. Höhepunkt bis dahin soll das »Leuchtturmprojekt« Marburg-Gießen werden, fusioniert wird es die drittgrößte Uniklinik in Deutschland sein.
    Aber warum regt sich nun, im Sommer 2005, Protest? Nur weil ein Universitätsklinikum privatisiert werden soll? Was ist der Unterschied zu den vielen bereits privatisierten kommunalen Kliniken?
    Unikliniken haben einige Besonderheiten. Sie sind groß, und sie sind Maximalversorger. Das heißt: Niedergelassene Ärzte und andere Kliniken überweisen schwierige Fälle an die meist hochspezialisierten Häuser, denn hier wird in der Regel alles behandelt. An Universitätskliniken bündelt sich Know-how. Aber die Unikliniken müssen auch mit Gerätschaften und Personal für alle Notlagen, auch für die komplizierten medizinischen Fälle, ausgestattet sein und diese vorhalten – und das kostet Geld.
    Darüber hinaus sind sie Zentren für Forschung und Lehre. Zukünftige Ärzte-Generationen werden direkt am Patienten geschult, und Studien für den Einsatz lebenswichtiger Medikamente werden hier durchgeführt, im Labor und am Patienten. Unikliniken ruhen also auf drei Säulen: Patientenversorgung, Forschung und Lehre. Diese Verbindung soll nach den 2004 gefassten Beschlüssen der in Hessen damals mit absoluter Mehrheit regierenden CDU aufgebrochen werden, denn das Land will zwar weiter über Forschung und Lehre wachen, die Patientenversorgung soll aber an den privaten Klinikbetreiber gehen.
    Und dazu läuft im Sommer 2005 das Bieterverfahren, gerade zu der Zeit, als die Ärzte auf den Lahnbergen protestieren. Doch von dem Stand der Verhandlungen wissen die meisten Ärzte nichts. An der Klinik denken viele, ihre Proteste könnten die Koch-Regierung noch umstimmen.
    Professor Neubauer denkt nicht so. Er weiß, dass die Würfel gefallen sind. Er geht auch nicht protestieren, denn er ist Pragmatiker. »Vielleicht wird es ja auch besser«, sagt er damals und ergänzt: »Ich glaube es zwar nicht, aber wer weiß?« Zu diesem Zeitpunkt ist der Neuroonkologe Neubauer bereits fünf Jahre an der Klinik. Schnell hat er sich den Ruf eines international anerkannten Leukämie-Spezialisten erworben. Auch für die Klinik ist er ein Glücksfall, denn er sammelt Jahr für Jahr Millionensummen für die Krebsforschung, veröffentlicht Studien, die auch in den USA große Anerkennung finden, arbeitet eng mit der Deutschen Krebs-Stiftung und der José-Carreras-Stiftung zusammen. Er ist beliebt bei den Kollegen, beliebt bei den Studenten und bei seinen Patienten, für die er den Feierabend oft endlos hinausschiebt, bis dieser sich mitunter in Luft auflöst.
    Neubauer hat mitgewirkt an Forschungen, die Leben retten. Das betrifft Krebsarten, an denen vor wenigen Jahren noch 90 Prozent der Patienten gestorben sind; »heute überleben 90 Prozent genau diesen Krebs«, sagt er leidenschaftlich. Man merkt, wie überzeugend der Arzt den Studenten die Bedeutung seiner Forschungen vermitteln kann, und man spürt, wie sehr er an seine Forschung glaubt. Vor allem darum macht er sich nun Sorgen. »Ob die Zeit dafür noch reichen wird?«, fragt er sich. Am meisten Bedenken hat er hinsichtlich der klinischen Studien, also jener, die direkt am Patienten erfolgen müssen. »Die großen Schritte bei der Krebsbekämpfung können wir nur mit den Patienten gemeinsam gehen«, sagt Neubauer. Er beobachtet schon jetzt, dass einige seiner Kollegen das Handtuch werfen. »Die wollen nicht abwarten, was passiert.« Unter einigen herrsche geradezu

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