Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)
könnte die Wäschereien, die Kantinen, manche Versorgungseinrichtungen zusammenlegen, in der Verwaltung sparen und Fakultäten enger verzahnen.
Die Landesregierung aber will den Klotz am Bein um jeden Preis loswerden. Allen voran Joachim-Felix Leonhard. Er ist einer der Architekten des Verkaufs. Der Staatssekretär sitzt damals im Ministerium für Wissenschaft und Kunst in Wiesbaden. Von dort betont er regelmäßig, für Investitionen jeglicher Art fehle das Geld. Man würde es mit viel Anstrengung gerade schaffen können, den Krankenhausbetrieb aufrechtzuerhalten, alles darüber hinaus sprenge die Kassen. Wie ein privater Krankenhausbetreiber es aber fertigbringen soll, endlos zu investieren und obendrein noch Gewinn abzuschöpfen, erklärt Leonhard nicht. Auch zu einem anderen Punkt möchte er damals lieber keine Auskunft erteilen: Für die Kliniken könnten in Zukunft nicht nur die Fallpauschalen und die Gewinnerwartungen eines privaten Konzerns zum Problem werden. Denn die Erfahrung zeigt, dass die Krankenhauskonzerne für ihre Investitionen meist die Kliniken bezahlen lassen. Sie selbst investieren kaum, sondern lassen die Kliniken Kredite aufnehmen, deren Zins und Tilgung dann durch den Krankenhausbetrieb wieder erwirtschaftet werden müssen.
Deutlich wird jedenfalls, dass Leonhard es dem Land und der öffentlichen Trägerschaft nicht zutraut, die Kliniken zumindest mit einer schwarzen Null zu führen. »Und wenn alles schiefgeht, gibt es ja noch eine Rückfallklausel«, betont er. Danach ginge das Klinikum – wenn gar nichts klappt und der private Betreiber pleitegeht – automatisch wieder zurück ans Land. Kein Kommentar dazu, was in einem solchen Fall mit den angehäuften Schulden passieren würde.
Für den Bereich Forschung und Lehre erwartet er nicht nur keine Beeinträchtigung, im Gegenteil könnten sie »durch die unternehmerische Gestaltungsfreiheit erheblich gestärkt« werden, so Leonhard.
Von unternehmerischer Gestaltungsfreiheit hält man 30 Kilometer nördlich in einem hellen Gründerzeitgebäude der Marburger Innenstadt nicht viel. Schmale Stufen winden sich in dem engen Treppenhaus empor. Ganz oben in einem kleinen, spartanisch eingerichteten Büro mit Dachschräge und Gaubenfenster begrüßt ein freundlicher Herr um die siebzig die Besucher, die es bis hier hinauf geschafft haben. Viele sind es nicht, aber das muss auch nicht sein, denn Aufgabe des hier ansässigen Fördervereins für Herzchirurgie ist es, selbst auf die Leute zuzugehen. Der frühere Landtagsabgeordnete Karl Schnabel ist sein Vorsitzender. Noch in den 1990er Jahren war Marburg die einzige Universitätsklinik, die keine Herzchirurgie-Station hatte. Der Förderverein war 1988 angetreten, um das zu ändern. Durch die von ihm gesammelten Spendengelder konnte die Station 1995 eingeweiht werden. Seitdem werben der Verein und Karl Schnabel weiter für Gelder, und darin ist er mit seinen Gleichgesinnten sehr erfolgreich. »Schauen Sie mal«, sagt er lächelnd. Auf Fotos zeigt er Geräte aus der Intensivstation, einen Herz-Laser, einen Operationssaal. »Darin steckt unser Geld.« Nur ein paar Beispiele, wohin die Millionen geflossen sind, die der gemeinnützige Verein bisher für die Uniklinik gesammelt hat. »Die Forschung braucht unsere Unterstützung«, davon ist Schnabel überzeugt. Ein Großteil der Gelder ging aber in die Versorgung direkt am Patienten. Damit könnte demnächst allerdings Schluss sein.
In der vergangenen Woche hatte der Förderverein eine Krisensitzung. Der Beschluss, der hier gefasst worden ist, ist weitreichend. Im Falle einer Privatisierung wird man sich aus großen Teilen der Förderung zurückziehen, möglicherweise ganz die Arbeit einstellen. Denn für einen privaten Konzern wollen und können die Mitglieder laut Satzung kein Geld sammeln. »Wir haben die Medizin unterstützt, damit Menschen schneller und besser geheilt werden können. Aber einem Konzern wollen wir das Geld nicht in den Rachen werfen.« Das sagt Schnabel mit aller Bestimmtheit. Schnabels Hände sortieren die Fotos wieder chronologisch und legen sie beiseite. Wer weiß, ob jemals wieder jemand danach fragen wird.
In einem Glaspavillon nur etwa 50 Meter entfernt vom Büro des Fördervereins treffen sich seit einigen Wochen die Betriebsräte der beiden Krankenhäuser und diskutieren über die Aussichten der Kliniken unter einer privaten Führung. Dabei überwiegt die Skepsis, denn an einen Patientenansturm nach einer Privatisierung
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