Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)
wenigen Wochen werden Fresenius enorme Mengen an Aktien zum Kauf angeboten. Aber wird man die 90-Prozent-Hürde schaffen? Kurz vor dem Ziel gerät der Prozess plötzlich ins Stocken.
Denn überraschend meldet sich ein weiterer Konkurrent: Asklepios. Die Krankenhauskette ist neben Rhön und Helios der dritte große Player am privaten Krankenhausmarkt. Und weil Asklepios offenbar kein Interesse an einer einseitigen Verteilung des Klinikkuchens unter den Konkurrenten hat, hat der Konzern Rhön-Aktien aufgekauft. Heimlich. Erst kurz vor dem Stichtag, dem 1. Juli 2012, lässt Asklepios die Katze aus dem Sack: Der Konzern hält nach eigenen Angaben 5,01 Prozent an den Rhön-Aktien. Unter diesen Umständen ist das Rennen für Fresenius gelaufen. Es gibt keine Chance, über 90 Prozent der Rhön-Aktien zu ergattern. Am Ende bringt man es nur auf Kaufoptionen in Höhe von 84,3 Prozent des Grundkapitals von Rhön. Mehr Aktien stehen am Markt nicht zum Verkauf. Der Deal ist geplatzt, Rhön weiter im Boot, und in der Landespolitik gibt es lange Gesichter.
Und nicht nur da. Denn im Falle eines geglückten Kaufs durch Fresenius und damit auch eines Eigentümerwechsels bei den Unikliniken hätten die Privatisierungsgegner ihren Druck auf die Landesregierung erhöhen können. Dann hätte ja die Rückkaufklausel gegriffen. So allerdings nicht.
Schon während des Übernahmethrillers haben verschiedene Initiativen in Marburg die Montagsgebete ins Leben gerufen. Und selbst die entschiedensten Gegner hätten wahrscheinlich nicht mit einer derart großen Resonanz in der Bevölkerung gerechnet. Vorläufiger Höhepunkt ist der Auftritt des UKGM -Geschäftsführers Menger an jenem heißen Montag Ende August in der gotischen Elisabethkirche.
Menger schwärmt von den Chancen, die gewinnorientiertes gepaart mit sozialem Handeln böte. Warum die soziale Komponente vorzugsweise im Rhön-Konzern besonders verbreitet ist, verrät er nicht. Aber er weist darauf hin, dass zwei Drittel des Gewinns reinvestiert würden zur Verbesserung der Leistung am Patienten. Dass Rhön auf einem guten Wege sei, messe sich schon daran, dass seit der Privatisierung 13 Prozent mehr Menschen der Klinik ihr Vertrauen geschenkt hätten. Die Rede liest er ab, etwas nervös, etwas holprig, als würde er sich selbst fragen, warum Patienten, die dringend behandelt werden müssen, eine Klinik wie ein Warenhauskunde besuchen sollen, der diesem oder jenem Geschäft das Vertrauen schenkt. Doch in der Firmenphilosophie ist dies längst keine Frage mehr. Zumindest nicht, seit, wie es der Aufsichtsratsvorsitzende der Rhön-Klinikum AG formuliert, seine Aktiengesellschaft begonnen hat, »das, was man gemeinhin Gesundheitswesen nennt, in Gesundheitswirtschaft zu verändern« 71 .
Auch ein Podium gibt es noch, Diskussionsteilnehmer, die freundlich ihre Meinung austauschen. Bürgermeister Vaupel, der sagt, er habe von dem Thema keine Ahnung, der Marburger Dekan Professor Rothmund und Klinikdirektor Professor Werner. Zur wirklichen Auseinandersetzung kommt es allerdings nicht. Und im Publikum macht sich zunehmend Unruhe breit. Es ist die aufgestaute Unruhe von Menschen, die sich seit Jahren nach klaren Worten sehnen, die spüren, dass sich viel verändert hat beim Uniklinikum drüben auf den Lahnbergen und die die Veränderung am eigenen Leib erlebt haben. Viele, die hier sitzen, arbeiten in der Klinik. Die anderen wissen, dass sie oder ihre Angehörigen wenigstens einmal im Leben dorthin müssen, Vertrauen hin oder her.
Sie erleben, wie jeder versucht, sich an den Argumenten des Vorredners abzuarbeiten anstatt selbst Fakten zu benennen, wie sie jonglieren mit Vokabeln aus dem Bereich »soziales Gewissen« und sich einen Wettstreit in persönlichen Leistungen und Zufriedenheiten liefern. Klare Worte bleiben aus. Die Situation im Leuchtturm wird umkreist. Jeder trägt das Wohl des Klinikums vor sich her, jeder weiß, was das Beste für es ist. Standpunkte werden hin und her geschoben, aber nicht belegt. Und beinahe alle bedienen sich der Vokabel »Gewinn«, als würde sie wie selbstverständlich zur Patientenversorgung gehören.
Nur ein Überzeugungstäter sitzt auf dem Podium: Andreas Neubauer. Er erntet die geballte Aufmerksamkeit, wenn er in seiner bescheidenen Art davon spricht, wie die Zeit für die Forschung von der Patientenversorgung aufgefressen wird, wie die Lehre am Patienten zu leiden droht und wie die besten Köpfe der Nation einen Bogen um dieses Klinikum machen. Der
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