Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)
zwei Millionen Euro überweisen.
Haben er und sein Nachfolger Volker Bouffier mit der Privatisierung das Zeitalter der Spitzenforschung in Hessen eingeläutet und, wie Koch 2004 im Hinblick auf den Klinikverkauf sagte, »dauerhaft wissenschaftliche Schwerpunkte« 66 gesetzt, deshalb mit dem Verkauf ein »Leuchtturmprojekt in der mittelhessischen Region« 67 geschaffen?
Der Wissenschaftsrat hat zwar jüngst der Entwicklung der Forschung am UKGM ein günstiges Zeugnis ausgestellt. Ob das aber auch für die Zukunft gilt, wird sich erst in einigen Jahren zeigen. Erst dann wirken sich die heutigen Umstände an der Klinik aus. Viele namhafte Forscher am Klinikum bezweifeln, ob sie sich unter den heutigen Bedingungen in Zahl, Umfang und wissenschaftlicher Bedeutung halten lassen werden. Denn das Einwerben von Geldern kostet Zeit. Und diese Zeit fehlt am Ende wieder in der Forschung.
Hinzu kommt der steigende Druck, mehr Zeit in die Patientenversorgung zu investieren. Denn allem voran hat der Rhön-Konzern es geschafft, nicht nur den Anteil der schwereren und besser vergüteten Behandlungen, sondern auch insgesamt die Patientenzahlen am Universitätsklinikum enorm zu steigern, zwischen 2005 und 2011 eigenen Angaben zufolge um sage und schreibe 12,4 Prozent. Zuwachsraten, von denen andere Kliniken nur träumen können. Aber diese Patienten wollen natürlich auch versorgt werden. Mit der Steigerung geht also eine extreme Arbeitsverdichtung einher, die alle Bereiche der Patientenversorgung betrifft. Die Kliniken sind somit für den Konzern trotz der Investitionen zum Gewinngaranten geworden. In 2011 betrug der Gewinn 18 Millionen Euro. Und das trotz der 367 Millionen Euro, die Rhön seit 2006 vertragsgemäß in die Unikliniken investiert hat. Eigentlich also eine Erfolgsgeschichte. Trotzdem kochen seit Anfang 2012 die Wogen so hoch wie nie seit der Übernahme durch den Klinikkonzern, und es folgt ein wahrer Ringkampf um das privatisierte Klinikum.
Der Widerstand formiert sich
Alles beginnt im regnerischen Februar 2012. Betriebsrätin Bettina Böttcher sitzt noch in denselben Räumlichkeiten in einem Seitentrakt der Marburger Uniklinik. Aber die letzten Jahre haben Spuren hinterlassen. Nicht nur in den Räumen des Betriebsrates, wo die Ordner mit den Überlastungsanzeigen und der Korrespondenz mit der Klinikleitung mittlerweile Regalbretter füllen, auch in Bettina Böttchers Gesicht. Sie wirkt kämpferischer, und sie wirkt angestrengter. Ihr einstmals fröhliches Gemüt blitzt nur noch selten auf.
Bettina Böttcher jagt seit Jahren Zahlen. Zahlen, die die Klinikleitung ihr nicht geben will. Es geht um Beschäftigungsverhältnisse, um die tatsächliche Anzahl der Mitarbeiter, um den Ausblick, mit wie vielen Stellen der Konzern zukünftig plant. Dann, Anfang 2012, begegnet ihr plötzlich eine Zahl. Sie wird irgendwo, in irgendeiner Besprechung fast nebenbei fallen gelassen. Und sie ist groß. Um 500 Stellen plane der Konzern angeblich zu kürzen. »Jetzt«, denkt Bettina Böttcher, »jetzt lässt der Konzern die Katze aus dem Sack.«
Die Zahl verbreitet sich wie ein Lauffeuer. 500 Stellen weniger, und das vor dem Hintergrund der ohnehin enormen Arbeitsverdichtung der vergangenen Jahre. Schnell fällt auch das Auge der Landespolitik auf das UKGM .
Ende Februar äußert sich die SPD im hessischen Landtag empört über die Ankündigung, dass »zur Verbesserung der Ertragslage mehrere hundert Arbeitsplätze abgebaut« werden sollen. Das sei eine bewusste Provokation der Beschäftigten und verletze fundamentale Interessen des Landes, heißt es in einem Antrag.
Rhön beeilt sich gegenzusteuern. In einer Pressemitteilung nur einen Tag später räumt man zwar ein, dass ohne weitere Kostensenkungen dem UKGM in diesem Jahr ein Verlust drohe, es sei jedoch noch keine Entscheidung über Personalabbau getroffen, betriebsbedingte Kündigungen sollen auf jeden Fall vermieden werden. Wenige Tage später schiebt man nach, dass der »entstandene Eindruck, dass das Klinikum 500 Leute auf die Straße setzen wird, völlig falsch sei«.
Hintergrund ist, dass der erzürnte Landesvater Bouffier die Klinikleitung offenbar zu einem erklärenden Gespräch einbestellte und klarmachte, dass die Pläne so vom Land Hessen nicht mitgetragen werden könnten.
In einer gemeinsamen Erklärung von Rhön, dem UKGM und der hessischen Landesregierung bemüht man sich danach, Einigkeit zu demonstrieren. Beim UKGM handle es sich um eine »Erfolgsgeschichte,
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