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Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)

Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)

Titel: Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonia Mikich
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hilft dem Krankenhausinsassen nicht weiter, der hier und jetzt leidet und nicht auf die Ergebnisse einer total neuen Gesundheitspolitik warten kann. Sind wir weiterhin dazu verdammt, nur zwischen Duldungsstarre und der Hoffnung auf die Politik zu mäandern? Oder haben wir es auch selbst in der Hand, für Verbesserung zu sorgen?
    In meinen Klinikwochen sah ich Mitpatienten, die so gut wie nie Besuch bekamen. Sei es, dass sie tatsächlich alleinstehend waren, quasi Übriggebliebene ihrer Generation. Sei es, dass die liebsten Angehörigen zu weit entfernt lebten. Seelenqual stand in ihren Augen, auch Groll. Die goldenen, seltenen Krankenschwester-Minuten der Zuwendung reichten nicht. Deswegen will ich für eine gesunde Dosis Mitmenschlichkeit werben, das einfach Machbare. Wir können offener werden: als Patient Zuwendung annehmen, als Gesunder Zuwendung geben. Wir erlauben als Kranke ja auch Ärzten und Pflegekräften, also fremden Menschen, Hand an uns zu legen, Körperverletzung an uns zu betreiben, damit wir wieder gesund werden. Mit demselben Vertrauensvorschuss dürfen wir ebenfalls anderen Fremden zugestehen, dass sie unserem Gemüt guttun.
    Sie sind gar nicht so rar, die engagierten Menschen von nebenan. Einzelne und Gruppen, denen es privat oder beruflich ein Anliegen ist, anderen in Notsituationen beizustehen, sie zu stärken. Das kann mit einem Gebet sein oder mit Handhalten. Oder jemand besorgt einen Nachschub an Windeln und Wegwerfhöschen. Oder begleitet in die Spezialklinik. Doch ein Schwerkranker neigt oft zur Selbstabschottung und meint, alles »allein« mit sich ausmachen zu müssen, wenn Verwandte oder Freunde ihm nicht beistehen können. Der Gedanke, dass Fremde ihre Zeit und Freundlichkeit verschenken, ist nicht selbstredend. Hilfe anfordern? Verlernt.
    Zu häufig habe ich von Patienten gehört: »Nee, ich will keinen Fremden an meinem Krankenbett haben.« – »Kann ich doch keinem Fremden zumuten.« Warum wohl? Weil »Solidarität« ein billiger Ton im Wahlkampfgeklingel geworden ist? Wenn Geiz so geil ist, wirkt Nächstenliebe ein bisschen … doof?
    Unsere Mitmenschen machen uns stark, nicht nur die Infusionen. Diese Haltung finde ich sympathischer. Darum geht es in den folgenden Gesprächen.

Der Tröster
N. N., Klinikpfarrer
    Was tun in den schwarzen Stunden, wenn man seit Wochen im Krankenbett liegt und an allem zweifelt, wenn man sich leer fühlt? Matt ist der Körper und ängstlich die Seele, Heilung wird zum Fremdwort, Besserung ist eine nur schwache Hoffnung.
    Innehalten – es löst Gefühle aus, die man sich sonst selten erlaubt. Wie war das noch mal mit dem Sinn des Lebens? Warum gerade ich? Was wird aus der Familie, den Freunden, dem Betrieb, wenn ich so lange fehle? Oder gar nicht mehr zurückkomme? Habe ich noch Rechnungen offen?
    Eine besondere Frage zu stellen, musste ich erst lernen: Was macht mich stark? Wer macht mich stark? In manchen Krankenhäusern arbeiten Geistliche, die speziell für den Umgang mit Kranken ausgebildet sind. Sie begleiten auch über längere Phasen die Patienten und ihre Familien, sie beraten bei Konflikten. Und wer einen persönlichen Gottesdienst wünscht, darf dies aussprechen. Die evangelische Krankensegnung, die katholische Krankensalbung. Eine Trauung, eine Beichte, eine Taufe – die Kirche kommt. Mit Sakramenten oder Ritualen, mit Gesprächsbereitschaft. Das ist stärkend für die, die glauben. Und ersetzt fehlendes Krankenhauspersonal. Weil Ärzte und Pflegekräfte nicht auch noch psychologische Betreuung anbieten können. Die Pfarrer, Pastoren und ihre Mitarbeiter sind Tröster und Lückenbüßer zugleich. Wie sehen sie das System Krankenhaus, was können sie leisten? Wo sind ihre Grenzen?
    Einer schreibt mir: »Enteignung und Paternalismus sind die Realität, hier wird jeden Tag die Würde des Menschen verletzt. Ich kopiere Ihre Geschichte und verteile sie im Kreis der Kollegen weiter.« Das ist eine Aufforderung aus einer Ecke, die ich nicht vermutet hätte.
    Wir treffen uns in meinem Büro, meine leichten Vorurteile werden nicht bestätigt, denn alles Salbungsvolle ist ihm fremd. Er kann auch fluchen, wenn ihm etwas absolut nicht einleuchtet, er steht zu seinem Urteil. Er ist energisch, mag seine Mitmenschen, glaubt an seine Berufung. Nach einem Praktikum in einem kleineren Krankenhaus wusste er: »Hier ist meine Gemeinde, hier kann ich sinnvoll wirken. Das ist meins.« Seit zwölf Jahren arbeitet er in einem größeren Krankenhaus in NRW .

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