Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)

Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)

Titel: Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonia Mikich
Vom Netzwerk:
sind Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen noch stärker gefährdet, sich für die gute Sache ausbeuten zu lassen. In konfessionellen Krankenhäusern appelliert man an den religiösen Geist. An den Sendungsauftrag Jesu Christi. Sogar die türkische Putzfrau wird damit konfrontiert, wenn auch nicht offen. Man geht eben davon aus, dass man über homogene Belegschaften verfügt.
    In katholischen Häusern geht es auch um das Problem der Abtreibung; dass Ärzte sie im Rahmen des Gesetzes praktizieren, wird nicht zugelassen. Auch keine Euthanasie. Oder Präimplantationsdiagnostik. Während das menschliche Leben beginnt oder während es verlöscht – da wird viel Ethik betrieben, da bemüht man sich sehr um Ethik. Für den normalen Alltagsbetrieb gibt es solchen Aufwand nicht.
    Aber selbst in den Krankenhäusern, die nicht religiös aufgeladen sind, kann sich eine Ethikkommission den betriebswirtschaftlichen Erwartungen der Verwaltung nicht entziehen. Und das Berufsethos des Arztes gerät immer in Konflikt mit den betriebswirtschaftlichen Erwartungen an ihn.
    Zudem brauchen wir neben der »mikro-ethischen« Diskussion politische Debatten. Denn die Arbeit der Zukunft wird die Arbeit an und mit dem Menschen sein. Wir haben uns ja von der Agrargesellschaft zur Industriegesellschaft und danach zur Dienstleistungsgesellschaft entwickelt. Die entscheidenden Produktionsmittel unserer Epoche sind eben nicht mehr Grund und Boden, Technik und Kapital, sondern … die menschliche Ressource, das Arbeitsvermögen. Sogar in der modernen Industrie werden Menschen gebraucht, die nicht wie früher bloß auf Befehle reagieren, sondern die ihre Aufgaben relativ selbständig – alleine oder im Team – erledigen. Die ihre Arbeitszeit, ihre Arbeitsbedingungen oder auch das Arbeitsergebnis eigenständig organisieren können. Die Unternehmen erwarten hochqualifizierte Menschen, die neben ihrem Fachwissen auch verschiedene Alternativen beurteilen und auswählen können. Die kommunikationsfähig sind und einfühlsam auf Patientenwünsche reagieren und Menschen beraten können. Wie um solche Mitarbeiter geworben wird, ist in den Hochglanzbroschüren der Unternehmen gut abzulesen.
    Ich denke, dass dieser soziale Sektor, also Gesundheit, Bildung, Pflege, Kultur, einem Strukturwandel unterliegt, dass auch er höhere Wachstumsraten aufweist. Dann allerdings fragt man sich, unter welchen Bedingungen jene personennahen Dienste angeboten werden. Dieser Sektor kann nur wachsen, wenn qualifizierte Menschen angemessen und komfortabel bezahlt werden. Da es weiterhin um Grundrechtsansprüche geht, wird sich der Staat viel stärker engagieren müssen.
    Warum bewertet die Gesellschaft solche Berufe nicht höher und bezahlt sie nicht besser? Zum einen sind es Frauenberufe. Sie entsprechen der Frauenrolle, wie Frauen auch noch die Eltern pflegen, sobald die Kinder aus dem Haus sind. Und zur Betreuungsarbeit sagen die Tarifpartner: Warum soll sie ähnlich bezahlt werden wie etwa die Tätigkeit eines Facharbeiters in der Chemie? In der Metallindustrie? Die Kanzlerin reist in andere Länder, um für unsere exportorientierte Chemie- oder Autoindustrie zu werben, da wird subventioniert, da wird unterstützt. Das drückt doch unübersehbar die herrschende politische Wertschätzung aus.
    Zum anderen ist im Pflegebereich der gewerkschaftliche Organisationsgrad wirklich nicht hoch. Besonders in den Kirchen, dem größten Arbeitgeber in Deutschland. Sie kooperieren nicht mit den Gewerkschaften, sondern drängen sie aus ihren Einrichtungen hinaus. Mit Arbeitnehmerrechten ist es dort nicht weit her.
    Aber es ändert sich etwas. Die Geschichten, die jetzt aus den Krankenhäusern an die Öffentlichkeit dringen, werden erheblich dazu beitragen, dass Gesundheit hierzulande zu einem politischen Großthema wird. In dem Maße, wie die Mitarbeiter sich gewerkschaftlich organisieren, werden die Defizite öffentlich und der Druck stärker. Bei 80 Stunden Arbeit pro Woche sollten die abhängig Beschäftigten sagen: Jetzt ist Schluss. Noch trauen sie sich nicht, aber der Widerstand kommt. Gesundheit ist ein Grundrecht, und das setzt jeder Marktsteuerung Grenzen.

Was uns stärker machen könnte
Ein Plädoyer
    In diesem Buch ist viel von Mängeln und Fehlverhalten die Rede, notgedrungen. »Systemveränderung« lässt sich da schnell herbeiwünschen – ja selbstverständlich, her damit, die Gesellschaft soll und muss aufwachen. Aber die Gesellschaft kommt nicht auf Station mal gucken. Sie

Weitere Kostenlose Bücher