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Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)

Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)

Titel: Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonia Mikich
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funktioniert.
    Kommunikationsfähigkeit wäre jedenfalls ein Element, das in die ärztliche Ausbildung gehört. Und nicht nur oberflächlich antrainiert, wie ein Modul, denn das spüren die Menschen. Bei mir, dem Klinikpfarrer, spüren sie genau, wenn ich mal nicht so gut sortiert bin; dann bekomme ich keinen richtigen Kontakt. Es muss stimmig sein, und die Verbindung läuft auf einer vorsprachlichen Ebene.
    Man hat viel erforscht in der Medizin – medikamentös und auch apparativ. Aber die Arzt-Patient-Beziehung, die ist kaum erforscht. Ausgerechnet das A und O. Wie bewertet die Gesellschaft dieses Arzt-Patient-Verhältnis? Nur bei der Abrechnung, also ziemlich gering. Aber die einzige Form, in unserer Gesellschaft eine Leistung anzuerkennen, geht über Geld. Das können wir gut oder schlecht finden, es ist halt so. Ein operativer Eingriff ist auf jeden Fall teurer, das heißt wertvoller, als das vielleicht alles entscheidende Gespräch.
    Mein Kontakt zu den Pflegenden ist der lebendigste. Sie merken, ob einem Patienten Seelsorge guttun würde. Oder brauchen selbst ein Gespräch bei beruflichen oder persönlichen Belastungssituationen. Ein Beispiel: In unserem Krankenhaus haben wir auch ein pränataldiagnostisches Zentrum. Oft tauchen ethische Krisen auf, gerade wenn Kinder versterben. Das belastet Schwestern seelisch, gerade wenn die in einem Alter sind, so Mitte zwanzig, in dem sie selbst Kinder haben wollen. Solche Aussprachen – dafür gibt es im Krankenhaus kaum Angebote.
    Ich selbst kenne ja auch solche Situationen, etwa wenn ein Kind vielleicht eine frühe Schädigung hat und nicht überlebensfähig ist. Dieses Kind stirbt, und ich frage mich, wie soll ich jetzt der Mutter, deren Kind verstorben ist, das sagen? Wie ins Krankenzimmer gehen? Große Unsicherheit. Ist umarmen richtig? Oder zu viel?
    Es ist mir aber noch nie passiert, dass Ärzte oder Pfleger zu mir kommen und zugeben: »Ich hab Mist gebaut, ich hab einen Fehler gemacht, ich habe falsch behandelt, ich habe nicht richtig hingeguckt, also ich, ein Mensch, habe einen Fehler begangen.«
    Weil es ein System ist, das keine Fehlerkultur zulässt. Ja, das ist ein System, das ausgesprochen oder unausgesprochen keine Fehler zulässt.
    Vermutlich auch wegen Schadensersatzansprüchen, das wäre sozusagen die ökonomische Komponente. Die andere Komponente ist natürlich, dass es so hierarchisch zugeht: Ein Chefarzt begeht keinen Fehler. Und da sind wir wieder beim Messias. Ich hab einmal in einer Fortbildung – ich schmunzele jetzt – vom Dozenten gehört: »Es gibt zwei Systeme, die hierarchisch strukturiert sind: das Krankenhaus und die katholische Kirche.« Und dann hat er den Satz hinzugefügt: »Aber im Krankenhaus funktioniert die Hierarchie …«
    Meine schlimmsten Erfahrungen? Immer wieder, wenn die Kinderintensivstation ruft. Ja, ich bin Pfarrer, aber wenn die Nottaufe gewünscht wird, komme ich theologisch so ins Schlingern. Diese theologischen Standardsätze auf die Frage WARUM ? Diese Frage wird mir oft gestellt, und wenn ich ehrlich bin, habe ich keine Antwort. Das hört sich verrückt an, aber manchmal ist der Glaube keine Hilfe. Paradox, manchmal muss man auch seinen Glauben ertragen. Das sind alles Fragen, die ich im Hinterkopf habe, und dann muss ich natürlich innerlich sortieren. Ich darf meine Probleme nicht in die Situation hineintragen. Eine Gratwanderung.
    Ein Beispiel: Eine Frau hatte ein Kind entbunden. Man wusste schon, dass es nicht lange leben würde. Der Vater war nicht dabei. Die junge Mutter wünschte sich die Taufe. Aber ich habe gespürt: Sie wollte nicht dabei sein. Nun kann ich als Klinikpfarrer mit viel Erfahrung tausendmal denken, es wäre psychisch besser für sie, wenn sie dabei ist. Ich weiß aber auch, dass jeder ein Recht hat auf Verdrängung. Das kleine Mädchen lag in einer Art Nierenschale bei den Schwestern. Die Bilder trage ich weiter in mir. Es erinnerte mich an ein Küken, das aus dem Nest gefallen war.
    En anderer Fall auf der Intensivstation: ein Mädchen von vielleicht elf, zwölf Jahren. Ich gab der Schwester meine Karte, damit man mich über mein Handy erreichen konnte. Das Mädchen verstarb, ich weiß jetzt gar nicht, woran. Das war schon … sehr, sehr schwer. Ein junges Mädchen, lange Haare, ich war selber geschockt. Die Mutter natürlich aufgelöst, gefühlsmäßig aufgelöst. Die Eltern waren da, Freunde waren da. Lange Zeit war ich nur »dabei«. Und dachte: »Jeden Satz, den du … den kannste

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