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Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)

Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)

Titel: Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonia Mikich
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Kein Jasager, kein Resignierter.
    Kontakt – vom Lateinischen contingere . Das heißt berühren, auch gemeinschaftliches Handeln. Dieser Pfarrer ist ein Kontaktmacher.
    Ich biete Beziehung, Zeit und Zuwendung
Protokoll eines Zuhörenden
    Warum ich Ihnen geschrieben hab’? Weil ich Ihre Geschichte gut fand. Ich dachte, das ist genau der Punkt. Beziehung. Ich erlebe viele Begegnungen im Krankenhaus, aber auch in anderen Zusammenhängen, als kontakt- und beziehungslos. Dass Menschen sagen: »Ich werde zwar behandelt, aber irgendwie fehlt hier etwas. Das Miteinander. Dass der Eine wirklich mit dem Anderen spricht.« Ich kenne das Gefühl, man ist räumlich, physisch anwesend, es wird auch gesprochen, und dennoch ist dieses Verstehen nicht da. So ist es leider noch. Dass man ein Stück enteignet wird. Dass jeder meint, das Gute und Richtige zu tun, aber in der Summe kommt dann doch was ganz Verqueres raus.
    Andererseits: Als Patient begebe ich mich bewusst in ein Abhängigkeitsverhältnis. Ich halte überhaupt nichts davon, dies als Kundenverhältnis zu beschreiben. Ich gebe etwas von meiner Autonomie preis, weil ich ja nicht so viel über Krankheiten weiß. Ich gehe zum Arzt in dem Vertrauen, dass der mir mit seinem Wissen hilft. Es gibt also ein Gefälle, ein Oben und Unten, zwischen Arzt und Patient.
    Wie sollen Patienten damit umgehen? Sollen sie fragen, fragen, fragen? Und den Arzt damit nerven und den Betrieb aufhalten? Oder sollen sie sich fügen? Ich glaube, ein Rezept gibt es da nicht. Im positiven Sinn würde ich sagen: hartnäckig bleiben.
    Ich arbeite an einem kommunalen Krankenhaus und sehe keinen wesentlichen Unterschied zwischen den verschiedenen Kliniktypen. Jedes Krankenhaus befindet sich im Wettbewerb, und die Gesetze des Wettbewerbs sind für alle gleich. Ich bin übrigens froh, dass ich nicht an einem kirchlichen Haus arbeite. Dort stehen Jesus und der Glaube zu sehr im Schaufenster, und dahinter sieht es häufig ganz anders aus … Im kommunalen Krankenhaus kann ich recht unbefangen und frei meine Rolle ausfüllen.
    Es gibt nicht an jedem Krankenhaus einen Pfarrer, nicht mehr. Unser Bistum stellt ein großes Potenzial für die Kategorialseelsorge zur Verfügung – so nennt man das. Intern sorgen wir uns aber seit drei, vier Jahren, ob die Ressourcen wieder zurückgefahren werden. Das heißt, ob Leute, die hochspezialisiert sind, wieder zurück in die normale Gemeindearbeit sollen. Um dann von den Gemeinden aus Krankenhausseelsorge mitzuübernehmen. Wir müssen der eigenen Institution klarmachen, dass das nicht geht. Das Gesundheitssystem ist inzwischen hoch ausdifferenziert, und so braucht ein Klinikpfarrer ebenfalls bestimmte Qualifikationen. Diese Arbeit hat nicht nur mit Talent oder Interesse zu tun. Sie ist wirklich mit Ausbildung verbunden. Mit Qualitätsstandards.
    Ich weiß, dass ich am Anfang dennoch einen ziemlichen Bammel hatte, in ein Krankenzimmer zu gehen. Weil man nicht weiß, was auf einen zukommt. Im Krankenhaus sind die Rollen definiert. Die ärztliche Rolle ist definiert, die pflegerische Rolle ist definiert, Physiotherapie – und dann kommt … Seelsorge. Und die ist … wie soll ich sagen… wie ein luftleerer, nein, ein undefinierter Raum. Man rechnet nicht unbedingt mit mir. Ich muss mich immer wieder neu anbieten und meine Möglichkeiten manchmal auch erläutern. Also ich hab mal ein bisschen spaßeshalber gesagt: Ich bringe Vitamin B und Vitamin Z mit, ich biete also professionell ein Stück Beziehung an für die Zeit im Krankenhaus und ein gewisses Maß an Zeit und Zuwendung.
    Das wichtigste Instrument sind meine Ohren. Zuhören können, zwischen den Zeilen zuhören können. Ich habe auch eine psychoanalytische Zusatzqualifikation, sie läuft in gewisser Weise mit. Darin lernt man auch, die eigenen Gefühle von denen des Patienten zu unterscheiden und zu verstehen, wenn ein Patient etwas als schrecklich empfindet. Ärzte müssen das nicht … aber ich will jetzt keine Berufsschelte betreiben, weil ich erlebe, dass die Ärzte unter einem sehr, sehr hohen Druck stehen. Die Erwartungen sind sehr hoch, das Gesundheitswesen gilt als eine »Ersatzreligion«; die ganze Sehnsucht, die wir Menschen nach Heilung haben, die tragen wir an diesen Berufsstand heran. Ein zwiespältiges Verhältnis. Wir erwarten sehr viel, überhöhen die Ärzte mit unserer Heilserwartung, und gleichzeitig hagelt es Kritik … und Enttäuschung. Der Messias hat nicht

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