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Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)

Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)

Titel: Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonia Mikich
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glaube und WARUM ?
    Dr. Peter Sawicki half und hilft immer, wenn Journalisten harte Fakten, Studien oder auch nur Einschätzungen zu einem medizinischen Thema brauchen, und ich bin neugierig, wie sich dieser strenge Kritiker in einem persönlichen Gespräch verhält. Er empfängt mich in seiner Praxis in Duisburg, dort ist er inzwischen niedergelassener Internist. Außerdem lehrt er an der Uni Köln am Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie. Zurzeit arbeitet er an einer Studie über überflüssige Fußamputationen bei Diabetes-Kranken.
    Wir brauchen einen Aufstand der Patienten und der Gesunden
Protokoll einer Fehlersuche
    Viele Leute haben schlicht Angst, als Patient in eine Klinik zu kommen. Ich selbst auch. Angst, weil man nicht weiß, was mit einem passiert. Angst vor Schmerzen. Angst vor einer Diagnose, die das Leben einschränkt. Angst, nach einer Knie-OP vielleicht nicht mehr laufen zu können. Das ist sachlich begründet. Man hat auch Angst davor, dass man nicht mehr Herr seiner selbst ist, zum Beispiel bei einer Narkose. Man liegt da, wehrlos, kann sich nicht einmal äußern. Man begibt sich in die Hände anderer Menschen – im wahrsten Sinne des Wortes – und gibt etwas – wenn nicht alles – von seiner Integrität ab. Von seiner Freiheit.
    Aber als Arzt habe ich auch Angst, zum Beispiel Angst vor Fehlern. Das kann jeden Tag jedem Arzt passieren. Ein typischer Fehler im täglichen Medizinbetrieb ist die Verwechslung. Bei den Chirurgen die Seite. Es wird zum Beispiel das rechte Bein statt das linke Bein operiert, bei Internisten die Medikamentenverwechslung. Der häufigste Fehler. Das passiert jedem, man kann dieses Risiko nicht auf null reduzieren. Wo Menschen arbeiten, werden immer Fehler passieren. Es geht nicht anders. Man kann Fehler sehr weit reduzieren, aber auf null? Ich glaube nicht, dass das je möglich sein wird. Wesentlich ist zunächst, dass man gegenüber sich selbst und anderen zugibt, dass man Fehler machen kann, gemacht hat, macht und machen wird. Es geht nur darum, welche und wie viele. Das ist die Voraussetzung dafür, dass man diese Fehler erkennt, dass man weiß, wo sie passieren können. Auch Beinahefehler, die ja nicht zu einem Schaden für Patienten führen. Am besten lernt man aus Beinahefehlern. Man muss sie nur erkennen, melden und besprechen. Dies setzt eine entsprechende Fehlermanagement-Struktur voraus und auch eine Fehlerkultur.
    Eine Fehlerkultur in der Medizin wie zum Beispiel in der Luftfahrt wäre gut. Ich habe einmal an einer Aktion teilgenommen, bei der man seine eigenen Fehler beschreiben sollte, dazu gibt’s auch ein Buch (»Aus Fehlern lernen«, Aktionsbündnis Patientensicherheit). Jede Medizinrichtung sollte dabei Fehlersituationen aufzeigen. Chirurgen schrieben zum Beispiel, wie sie mal eine Klammer vergessen hatten in dem Patienten.
    Ich beschrieb, wie ich eine Patientin zu einer Herzoperation überredet hatte, die sie nicht wollte – als junger Arzt. Ich hatte die Diagnose gestellt und war dann so stolz drauf, dass ich sie auch heilen wollte. Und sie wollte nicht. Sie wollte nach Hause gehen. Ich habe sie lange überredet, und wenn man nett ist, dann kriegt man die Patienten überzeugt. Dann hat sie sich operieren lassen und ist dabei gestorben. Das war sicher ein Fehler. Ich war innerlich völlig aufgewühlt damals. Aber ich habe mich nicht getraut, mit jemandem drüber zu reden. Es ist halt schwer, über eigene Fehler zu reden, vor allem als junger Arzt. Dies wäre einfacher, wenn in jedem Krankenhaus und in jeder Praxis ein verbindliches Fehlermanagement-System etabliert sein müsste. Wenn es zur täglichen Routine gehören würde. Noch besser wäre, wenn es einen Austausch zwischen medizinischen Einrichtungen gäbe, dann könnte man voneinander lernen, wie man Fehler vermeidet. Allerdings ist das gängige Motto immer noch: »In unserer Klinik dürfen keine Fehler passieren, also kommen sie auch nicht vor.« Und wenn doch, dann wird vertuscht, oder die vermeintlich Verantwortlichen, meist junge Ärzte, werden bestraft. Sie bekommen Bemerkungen ins Zeugnis, sie werden bei den Schichten benachteiligt. Ihnen wird der Fehler angelastet, anstatt dass man die eigentlich Verantwortlichen, die Vorgesetzten, zur Rechenschaft zieht.
    Wer tröstet denn Ärzte, die müde, verängstigt oder überfordert sind? Freunde und Kollegen? Es gibt natürlich entsprechende Zirkel, aber das ist selten und alles Privatinitiative. Mehr und mehr auch

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