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Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)

Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)

Titel: Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonia Mikich
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Coaching, nur – das muss sich ein Krankenhaus auch leisten können. Die meisten Ärzte bezahlen es selbst. Einige Kollegen hören schlichtweg auf, weil sie Dinge in der Alltagspraxis nicht aushalten. Sie verlassen dann die praktische Medizin und arbeiten nur noch theoretisch oder gar nicht mehr im Bereich der Medizin. Das ist sehr schade, weil dies häufig Ärztinnen und Ärzte sind, die besonders verantwortungsvoll, ehrlich und patientenbezogen handeln wollen – aber nicht können.
    In den Untersuchungen, die wir gemacht haben, erweisen sich deutsche Ärzte weltweit als die unzufriedensten. Die Ursache? Die fehlende Zeit für Patienten, das Gefühl: »Ich kann mich nicht mehr so um die Patienten kümmern, wie ich das möchte.« Auch das hat mit Geld zu tun. Zum Beispiel kann man in einer Praxis die Anzahl der Patienten reduzieren. Natürlich ist das verbunden mit einer finanziellen Einbuße, das muss man schon wissen. Klar! Wenn ich mehr Fälle mache, dann habe ich mehr Geld.
    Zum Teil ist die Unzufriedenheit bei den Niedergelassenen darin begründet, dass man sich zu hoch verschuldet hat und nicht sieht, wie man seine Praxis abbezahlen kann. Oder dass man in bestimmten Gegenden nicht mehr damit rechnen kann, die Praxis zu verkaufen oder überhaupt einen Nachfolger zu finden. Und es macht mir auch Sorgen, dass dieser schöne Beruf – man kriegt ja sehr viel an Anerkennung von den Patienten, wenn man sich um sie kümmert –, dass dieser schöne Beruf für viele Ärzte in Deutschland nicht mehr schön ist. Irgendetwas ist in den letzten Jahren schiefgelaufen.
    Gefühlt unterbezahlt, überbelastet, unterbewertet. Von den Ärzten – in diesen Tagen wird gestreikt – hören wir viel über Ungerechtigkeit. Es gibt Ärzte, die sehr viel arbeiten und sich sehr für ihre Patienten einsetzen, und sie werden weniger gut bezahlt als Ärzte, die sich halt schlauer im System verhalten. Und so entwickelt man einen gewissen Neid … Zum Beispiel dieser Radiologe. Obwohl er nicht überdurchschnittlich arbeitet, warum hat der so viel Geld? Und warum baut der sich ein neues Haus? Und warum hat der schon wieder ein neues Auto?
    Auch in Krankenhäusern sind viele Kollegen verunsichert. Ich kenne einige Chefärzte, denen der Beruf keinen Spaß mehr macht. Du kriegst auf dein Handy von der Verwaltung Zahlen gespielt und denkst: »Wie viel muss ich bis Jahresende noch mehr operieren, wie viel muss ich noch zusätzlich machen? Und wie vereinbare ich dies mit meinem Gewissen, wenn ich eigentlich weiß, dass eine Operation nicht unbedingt notwendig ist?« Ich habe das alles selbst erlebt. Es ist ein grober Systemfehler, dass man Krankenhäuser und Ärzte so unter Druck setzt. Was zur Folge hat, dass derjenige, der mehr und eingreifender Medizin macht, auch mehr verdient. Egal, ob das Mehr objektiv notwendig ist oder nicht. Kontrolle findet nicht statt: wie viele Operationen, wie viele Herzkatheter, wie viele Röntgenbilder für die Patienten nicht notwendig und damit schädlich sind.
    Schon im Medizinstudium werden die angehenden Ärztinnen und Ärzte auf das intensive Machen trainiert. Das bewusste Nichthandeln – zumindest das strukturierte Unterlassen aggressiven Behandelns – wird so gut wie nicht unterrichtet. Den Studenten wird nicht beigebracht, wie man wachsam abwartet und damit den Aufwand reduziert und den Patienten nützt. Vor allem das bewusste Nichtintervenieren wird in unserem System nicht belohnt, sondern finanziell bestraft.
    Angenommen, es gibt eine verantwortlich handelnde orthopädische Klinik, die die Patienten intensiv berät, verbunden mit einer guten Krankengymnastik und bestmöglicher konservativer Therapie. Und diese fiktive Klinik schickt einige ihrer Patienten zunächst wieder nach Hause und überprüft – sagen wir mal – in einem Monat erneut die OP -Indikation. Eine solche orthopädische Abteilung würde ihre Gelenkersatzoperationen, ihre Wirbelsäuleneingriffe reduzieren und vermutlich die Patientenzufriedenheit steigern. Dies wäre zwar für die Patienten gut, aber finanziell wäre eine solche Klinik im derzeitigen System nicht überlebensfähig!
    Leider, leider rücken wir von dem uralten Grundsatz der Medizin »Zuallererst nicht schaden« ab. Heute heißt es: »Zuallererst Umsatz.« Eine Gesundheitspolitik, die Ärzte und Krankenhäuser zu solchem Handeln zwingt, ist gemeingefährlich. Und am schlimmsten ist dabei auch noch ihre Scheinheiligkeit: Diese helle Empörung der Politiker, wenn manche

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