Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)
bestätigen muss. Da spielen pekuniäre Interessen keine Rolle. Davon könnte Deutschland lernen.
Patientenverfügung? Es ist sehr subjektiv, ob ein Patient im Voraus die Dinge regeln will. Aus unserer Sicht als Juristen wäre es natürlich das Beste. Aber ich möchte das niemandem vorschlagen, weil das natürlich impliziert, dass der Patient sehr, sehr großen Schiffbruch erleiden könnte. Wenn nicht sogar, dass er sterben oder aber komatös den Rest seines Lebens verbringen könnte. Den Gedanken möchte nicht jeder schon als Option mit ins Krankenhaus nehmen.
Wir würden uns wünschen, dass die Politik mehr gegen das Ungleichgewicht zwischen Patient und Arzt unternimmt und Patientenrechte nachhaltig stärkt. Aber das neue Patientenrechtegesetz ist ja überhaupt nichts Neues. Das hätte auch ein Rechtsreferendar zusammenschreiben können. Warum? Darin wird nur formuliert, was schon seit Jahren oder Jahrzehnten in Deutschland Recht und Gesetz ist. Ein Besinnungsaufsatz, mehr nicht. Es verbessert die Situation des Patienten überhaupt nicht. Denn all die Regeln, die aufgeführt sind, sind schon seit Jahren oder seit Jahrzehnten existent. Also, dass der Arztvertrag ein Dienstvertrag ist – ja, das wissen wir schon seit Ewigkeiten. Dass ein Patient ein Einsichtsrecht in seine Behandlungsunterlagen hat, das ist schon seit Jahrzehnten bekannt, und dass er seine Behandlungsunterlagen in Fotokopie bekommt, auch. Dass ein Arzt den Patienten aufklären muss, ist uralt, sonst wäre der Eingriff rechtswidrig. Dass Patienten Unterstützungsleistungen von Krankenkassen bekommen sollen, ist jetzt etwas verschärft worden, früher war es eine Kann-Bestimmung, heute ist es eine Soll-Bestimmung. Langer Rede kurzer Sinn: Das Patientenrechtegesetz hat überhaupt keinen Vorteil für den Patienten gebracht. Keinerlei Fortschritt bei der Produkthaftung. Keine generelle Beweislastumkehr. Kein Patientenvertreter mit Stimmrecht im Gemeinsamen Bundesausschuss. Die Lobby der Ärzteschaft war wohl einfach zu stark …
Der Veränderer
Professor Peter Sawicki
Anfang 2010 haben in einigen Chefbüros der Pharma-Branche und bei einigen industriefreundlichen Politikern vermutlich die Champagnerkorken geknallt. Peter Sawicki war weg vom Fenster, ihr schärfster Kritiker. Auch in der schwarz-gelben Regierung galt er als Störenfried. Jahrelang hatte er das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, kurz IQWiG, geleitet. Eine Art Pillen- TÜV , der Pharma-Produkte mit Hilfe von internationalen Studien streng auf ihre Wirksamkeit prüfte. Die rot-grüne Bundesregierung hatte das Institut 2004 ins Leben gerufen, es wurde und wird aus Mitteln der Gesetzlichen Krankenversicherungen finanziert. Schlechte Laune, wenn nicht Imageschaden, bereitete der Direktor den Lobbyisten lange Jahre, denn Professor Peter Sawicki war ein unabhängiger Kopf, der einen großen Teil der Medikamente in Deutschland für verzichtbar hielt und seine Ergebnisse an die große Öffentlichkeit brachte. Weil er gut erklären konnte und vor Konfrontationen keinerlei Angst zeigte, war dieser Typ Arzt den Interessen des Milliardenmarkts Gesundheitswesen nicht zuträglich. Dass das IQWiG und Peter Sawicki international einen hervorragenden Ruf genossen, störte seine Gegner nicht. Er wurde geschasst, angeblich wegen eines chaotischen Umgangs mit Spesenabrechnungen. Doch in Wirklichkeit ging es vermutlich auch um die Person, die der mächtigen Pharma-Lobby zu kompromisslos das Geschäft störte.
Arzt wurde er, weil er einen Beruf suchte, mit dem er überall tätig werden konnte. Die Möglichkeit zu haben, jederzeit die Zelte abbrechen und neu anfangen zu können – für ihn Unabhängigkeit. Dann erste Enttäuschungen an der Uni, wo es zu viele Streber unter den Studenten gab und zu viele autoritäre Dozenten das Klima bestimmten: »Ich werde nicht vergessen, wie der Gynäkologe, dem eine Patientin von ihrer Zwangssterilisierung im Dritten Reich erzählte, diese einfach unterbrach: ›Das wollen wir jetzt gar nicht hören. Es geht nicht dadrum.‹ Ich wollte das aber hören.« Er wollte, mit Gleichgesinnten, die Medizin verändern: »… Und wir haben die Dinge auch anders gemacht, weil wir dieses Gefälle zwischen Arzt und Krankem nicht akzeptierten.«
Seine Unzufriedenheit mit der Art, wie Medizin gemacht und wie mit Patienten umgegangen wird, hat tiefe Wurzeln. Sawicki ist einer, der von der Kraft gesunden Zweifelns überzeugt ist: WER will, dass ich WAS
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